Sonnenblumen und Gegenwind

Morgens eine Cola und einen goldenen Toast,
im Radio läuft die Werbung munter:
Karstadt nimmt die Preise runter.
Doch die Aussicht darauf ist dir
nur ein schwacher Trost, nur ein schwacher Trost.

Draußen steht dein Auto, ohne dem hier gar nichts geht.
Das Fahrrad steht im kalten Keller.
Mit dem Auto geht's halt schneller.
Tröstest dich mit dem Gedanken, du
kommst heut nicht zu spät, kommst heut nicht zu spät.

Abends kommst du selten vor um 8 nach Haus
dann hast du zu nichts mehr Lust, bist
ausgebeutet, Streß und Frust,
doch du willst ja Geld verdienen, so
hältst du's gerne aus, hälst du's gerne aus.

Eine schöne Lage, Wiese und Balkon.
Viele 1000 Mark Belohnung
zahlt man hier für eine Wohnung
willst dich erst mal eingewöhnen, dann
sehn wir weiter schon, sehn wir weiter schon.

Der Briefkasten ist voll, doch es ist kein Brief darin.
Glücksraketen, Werbungsbogen,
wirst von Hinz und Kunz betrogen,
und das soll dein Zu Hause sein?
Suchst nach einem Sinn, suchst nach einem Sinn.

Ab und zu ein Anruf, jemand fragt: "Wie geht's?"
"Mittelprächtig, so wie immer,
andern Leuten geht es schlimmer."
Sagst nichts über deine Wünsche,
sagst nur: "Ja, so steht's.", sagst nur: "Ja, so steht's".

Abends gehst du ins Konzert, erfüllst dir einen Traum:
Reinhard Mey gastiert in deiner
Stadt und singt so schön wie keiner
daß es auch noch Liebe gibt,
dachtest daran kaum, dachtest daran kaum.

Liest die Inserate, gibst selber eines auf.
Schreibst Briefe in die fremde Leere
und hoffst, daß da irgend jemand wäre,
denn du hast so viel zu bieten,
doch antwortet keiner drauf, antwortet keiner drauf.

Morgens eine Cola und einen goldenen Toast,
im Radio läuft die Werbung munter:
Karstadt nimmt die Preise runter.
Doch die Aussicht darauf ist dir
nur ein schwacher Trost, nur ein schwacher Trost.

Auf der Autobahn ist heute so ein Gegenwind,
und der bläßt aus Süd-Süd-West, Wolken ziehn, ziehn geschwind.

"Aufwiedersehn in Brandenburg", komm in Dresden auch vorbei.
Das Autoradio schaltet um von Sachsenradio auf Bayern 3.

Ist die Welt nun groß für dich, Freunde sind so weit.
Bist 9 Stunden unterwegs, auf 4 Rädern rast die Zeit.

Suchst nach einer neuen Liebe, suchst nach einem Halt.
Und wenn sie für immer bliebe, wär's hier nicht, nicht so kalt.

In der Ferne siehst du den Schwarzwald und den Rhein.
Frankreich zeigt dir Sonnenblumen, doch du bist nicht, bist nicht daheim.

©Jürgen Langhans. Karlsruhe, 17. Oktober 1992