Das Buch

Mit Hilfe der Satire läßt sich Schwachsinn besser ertragen. So entstand das Buch. Zu meiner Überraschung passiert gerade folgendes:

Die meisten Leute kennen eh nur die "neue Regel" mit dem "ss", und sie lassen Kommas weg (was sie sowieso schon immer taten). Ich behaupte, kaum jemanden würde es auffallen, wenn eines meiner Kinderbücher in irgend einer Schulbibliothek stünde und ein Lehrer daraus vorlesen würde.

Seit je her faszinieren mich Bücher. Ich habe Freude am Lesen und am stilvollen Schreiben. Als engagiertem Ingenieur ist mir die sog. Rechtschreibreform eher zufällig über den Weg gelaufen. Ich nahm zunächst an, hier sei etwas Sinnvolles im Gange, und es seien Experten vom Fach am Werk. Wenig später, so etwa 1997, bekam ich ein Schriftstück in die Hand, in welchem die regionalen Genossenschaftsbanken zur Verwendung neuer Regeln veranlaßt wurden. Ich wurde neugierig auf die Neuigkeiten in der Schreibung, zumal bereits Terminvorstellungen für die "verbindliche Einführung" dieser Regeln im Raume standen, und ich studierte das kleine Werk ausgiebig.

Meine Neugierde wich schnell dem Staunen und Wundern. Allein der Ansatz der Reform, den Schülern unsere heutige Schreibung zwecks Erzielung besserer Deutschnoten nicht länger zumuten zu wollen, schien mir nach wenigen Sekunden des Nachdenkens höchst zweifelhaft. Das Ergebnis meines Staunens und Wunderns ist in Wir schreiben für die, die lesen deutlich und im Klartext formuliert.

Leseproben (ohne Quellenangaben)


"Das Stammprinzip soll jetzt noch mehr beachtet werden." ...

Die Schreibung von gleichen Wörtern mit dem gleichen Wortstamm solle möglichst einheitlich sein. Dabei solle weder Rücksicht auf die geschichtliche Herkunft noch auf die vermutete Sprachverwandtschaft zweier Wörter genommen werden. Ausschlaggebend sei, was man heute mit bestimmten Wörtern in Verbindung bringt.

Tolpatsch soll jetzt mit "ll" geschrieben werden, weil man das Wörtchen "toll" im Hinterkopf habe. Ich kann mich allerdings nicht erinnern, dieses Tierchen jemals mit dem Adjektiv "toll" in Verbindung gebracht zu haben. Die heute Lernenden bekommen ja ein völlig falsches Bild von diesem Vogel! Aber er ist nicht "toll", sondern er hat einfach nur zwei breite Füße (ung.: tal-pas, breiter Fuß, talp, die Sohle) [5]. Somit machen wir dieses Tierchen zu einem tollen Patsch und könnten mit "Tollpatsch" einen ganz besonders fidelen Gesellen bezeichnen, oder? Und dürfen/müssen wir dann nicht konsequenterweise auch

Tolleranz oder besser noch Kackadu

schreiben, wo hier doch ein jeder "kacken" assoziiert? Denn:

Woher sollen wir denn nun eigentlich wissen, welche Wörter in Zukunft plötzlich irgendwelchen Stammprinzipien gehorchen sollen und welche nicht?

Was ist nun einfacher: Sich die besonderen Schreibungen weniger komplizierter Wörter einzuprägen, oder nach einer fadenscheinigen Regel, die sowieso nicht funktioniert, die richtige Schreibung zu finden versuchen? Den

Damhirsch und das Chamäleon

beispielsweise haben die Reformerfinder vergessen zu reformieren. Ich denke da nämlich an Damm und an "Kamel" ... Ja, warum eigentlich nicht "Kammel", in Anlehnung an Kamm? Außerdem heißt es doch im Regelwerk [4] unter §2: "Folgt im Wortstamm auf einen betonten kurzen Vokal nur ein einzelner Konsonant, so kennzeichnet man die Kürze des Vokals durch Verdopplung des Konsonantenbuchstaben". Bezüglich des Damhirsches weiß aber jeder gute Jäger, daß dieses Wild "Damwild" ist und damit in eine von den acht "Fallgruppen" (nicht Fallgruben!) gehört, bei denen man den Buchstaben für den einzelnen Konsonanten nicht verdoppelt, obwohl dieser einem betonten kurzen Vokal folgt [4], §4, also dürfen wir nicht "Dammhirsch" schreiben.

Aber was machen wir nun mit unserer Stammprinzipregel? In eine von diesen acht Ausnahme-Fallgruppen gehört auch die Walnuss, die man ebenfalls nicht "Wallnuss" schreiben darf. Dieses Früchtchen ist nämlich "ein Wort mit unklarem Wortaufbau oder mit Bestandteilen, die nicht selbständig vorkommen" [4], §4. Nun kenne ich aber sowohl den selbständig vorkommenden Wal als auch die mindestens genauso selbständig vorkommende Nuß. Dann muß es wohl am "unklaren Wortaufbau" liegen, doch was ist das? Und beißt sich diese "Walnuss"-Ausnahme nicht wiederum mit dem "Tollpatsch"? Ich finde, daß der Tolpatsch einen ganz besonders "unklaren Wortaufbau" hat! ...

Was ist eigentlich mit dem Ochsen, der auf der Wiese läuft? "Wiesent"? Und darf ich in Anwendung der Stammprinzipregel, die ja alles vereinfachen soll, in Zukunft "einsätzen" (abgeleitet von Einsatz) schreiben? ...

Rohheit oder Zähheit,

nicht jedoch "Zierrat", denn Zierat ist abgeleitet von Zier (ähnlich Heim und Heimat). Mit demselben "Recht" dürfte ich dann ja auch "Armmut" schreiben, oder?

"In Zukunft bleiben noch mehr die Buchstaben der einzelnen Wortbestandteile erhalten". [3] So lautet die neue Regel. Gut, aber: Warum "rau" statt rauh, jedoch weiterhin roh? Wäre die logische Konsequenz dann nicht auch "Ku", "Re", "Stro" oder "Schu"? Nein, welch Raubein, der so weit ginge! ...

... Und wer verrät mir als Sprachneuling, wie ich

Dekolleté

schreiben muß, wenn ich es als "Dekoltee" vorgesagt bekomme? Verstehen die Reformerfinder unter solchem Quatsch etwa eine Vereinfachung der Schreibweise? Oh, ist das alles undurchdacht, halbherzig, traurig und inkonsequent! Ich will mit diesen einfachen Beispielen nur zeigen, daß es nicht damit getan ist, die Schreibweise von vielleicht 180 Fremdwörtern zu verändern, um das Schreiben zu vereinfachen. Es gibt sicher tausend solche schwierigen Wörter! Darf ich z. B. das nirgendwo "reformierte" Wörtchen

Skizze

in Zukunft ohne nachzuschlagen einfach "Skitze" schreiben? Oder "spatzieren"? Oder "Artickel" so wie "Karnickel"? Nun, das Wort Skizze gehört zu einer Ausnahme nach §3 des neuen Regelwerkes [4], so etwas weiß man doch!

Warum schreiben wir in Zukunft "Tipp", aber weiterhin "Top"? Ganz einfach, sagt mein neues Nachschlagewerk: Weil nämlich Top zu einer "Reihe einsilbiger Wörter" gehört, und die wiederum sind in einer der bereits weiter oben zitierten acht Ausnahme-Fallgruppen enthalten. Außerdem ist "Top" englisch. Für "Tip" trifft das offenbar alles nicht zu, darum müssen wir nach §2 der Neureglung in Zukunft "Tipp" schreiben. Das ist tipp-top in Ordnung! Nur: Weltweit schreibt man Tip und auch Stop, und niemand nimmt daran Anstoß! Warum also wollen wir in Zukunft den Tip (Rat) mit dem Tippfehler auf eine Stufe stellen?

Wie unterscheiden wir zukünftig den Tipfehler von einem Tippfehler? Und wenn wir in Zukunft "Tipp" schreiben sollen, warum sollen wir dann nicht auch "Buss" schreiben? Oder "fitt"? "Hitt"? Schließlich schreiben wir ja auch "Bass" (Baß).

Ich halte alle mir bekannten Änderungsvorschläge zur Schreibung fremdländischer Wörter für völlig nutzlos, da diese weder transparent und logisch sind und keine Vereinfachung der Schreibung darstellen. Hier muß man einfach mal richtig auswendig lernen! Und während wir uns hier mit solchen traurigen Kuriositäten befassen, wuchern in der Zwischenzeit - und das völlig frei und ohne parlamentarische oder richterliche Grundlage - die Konjugationen und Partizipien von Anglizismen ins Abartige, ohne daß wir's überhaupt noch wahrnehmen:

Hier wird in übelster Weise eingedeutscht, und keiner kann sagen, was richtig und was falsch ist. Warum benutzen wir immer weniger den Wortschatz unserer eigenen Sprache? Versuchen wir das doch einfach mal:


Bleistift
Der Buchstabe "ß" und andere Doppelkonsonanten ...

"ß" wird zum "ss", wenn der Vokal davor kurz gesprochen wird, oder etwas genauer formuliert, es soll "ss" geschrieben werden, wenn einem kurzen Vokal innerhalb eines Wortstammes ein einsames s folgt, also z. B.:

Das klingt zunächst einleuchtend und logisch. Damit könnte ich in größter Not leben, und das ist wohl auch einer der wenigen Punkte der Reform, die ich vom Grundsatz her akzeptieren könnte, wenn ich dringend müßte. Nur: Erstens funktioniert diese Regel nicht, und zweitens wird das Schreiben dadurch nicht einfacher. Schreiben wir nach obiger Regel in Zukunft "Er mist die Temperatur", weil dem i zwei Konsonanten folgen? Im Umkehrschluß dürfte ich dann auch

Missthaufen

schreiben, oder? Immerhin führt das Regelwerk das Wort "bisschen" als Beispiel für diese Regel an. Ist "c" kein Konsonant? Doch, schon, nur muß man die Regel natürlich genauer lesen, und dabei wird man feststellen, daß sich diese nur auf den Wortstamm bezieht. Und der Wortstamm von "Mist" ist nun mal "Mist". Demzufolge schreibt man den Misthaufen eben doch nur mit einem "s". Nur: Der Wortstamm von "bisschen" ist offenbar bis. Alles klar? Und außerdem gibt es ja noch das Wörtchen "misst" (von messen), darf ich nun also doch "Missthaufen" schreiben? Und woher soll ich denn als Schreibschwacher wissen, daß im Misthaufen gar kein "ß" drin ist bzw. war? Der Schreibschwache muß so wie bisher krampfhaft darüber nachdenken, ob er "Last" oder "Lasst" schreiben muß, denn es gibt beide Wörter! Wie wir sehen, versagt diese künstliche Regel bereits in einfachsten Fällen.

Es dürfte ungezählte Wörter geben, in denen einem kurzen Vokal ein einfaches "s" folgt. Schließlich werden wir ja irgendwann einmal nicht mehr wissen, wo vorher ein "ß" stand. Hier das wohl berühmteste Beispiel:

das bzw. dass (!)

Noch Fragen? Im übrigen ist mit dem Ersatz des "ß" durch "ss" noch lange nicht das so berühmte Problem der Konjunktion aus der Welt:

Ich habe gehört, daß es regnet."

Die Rechtschreibschwachen kommen hier bekanntlich ins Grübeln und schreiben nicht selten das daß fälschlicherweise mit einfachem "s". Diese Rechtschreibbanausen würden aber ihr Problem nach der Reform immer noch haben und nun statt "ss" höchstwahrscheinlich "s" schreiben! Was hätten wir also an dieser Stelle gewonnen? Ein "ß" konnte man sich als Kind viel leichter einprägen. ...

Die Entscheidung, ob wir eine Konjunktion oder einen bestimmten Artikel kenntlich machen müssen, nimmt uns keiner ab, schon gar nicht der Austausch von Buchstaben.

Woher soll ein Schreibschwacher, unabhängig davon, ob wir das "ß" zulassen oder nicht, wissen, ob er "Kenntnis" oder "Kenntniss" schreiben muß? "Kompromis" oder "Kompromiss"? Er muß nachschlagen, und wenn er dies tut, wird er in [4], §5, zumindest für das Wort Ergebnis fündig und lernt eine von vier weiteren Ausnahmefallgruppen kennen.

Da muß man lernen. Angenommen, ein schreibschwacher Schreiberling merkt sich mühevoll die Regel §2. Woher soll er wissen, daß er Ausnahmen zu beachten hat? Nichts wird einfacher!

Das "ß" ist eine Ligatur (Verschmelzung zweier Buchstaben) und hat nichts mit Vokallängen zu tun. Man hat immer schon "ss" schreiben können, wenn man die Ligatur nicht auf der Schreibmaschine hatte oder in der Schweiz lebte. Ligaturen sind optische Hilfen, die das Lesen erleichtern. Ein "Schlußstrich" ist nun mal optisch leichter in seine Bestandteile zu zerlegen als ein "Schlussstrich".

Lesen Sie doch mal das Wort "Misstrauen": "Mis-Strauen"? Oder: "Messingenieur": "Messing-Ingenieur"? Das "ß" im Auslaut von Worten und Silben ist eine der wichtigsten Lesehilfen überhaupt und ein starkes Signal dafür, ob das Schärfungs-"s" noch zur vorigen Silbe gehört oder nicht. Es ist aus diesem Standpunkt gesehen geradezu wie ein Bindebogen in der Musik. Warum dieses deutliche Signal aufgeben, wenn die Alternative schlechter ist ...?" [7] Beispiel:

Schlossinnenhof

Was sind "Schlossinnen"? Vielleicht sind das die Schloßdamen. Geben mir die Reformer wenigstens hierin recht, daß sich Schloßinnenhof besser liest? Wohl eher nicht, denn jetzt spielen sie bestimmt ihren besten Trumpf aus, den Bindestrich:

Schloss-Innenhof

Schön, aber dann kontere ich mit Schlossinnen-Hof!

Das neue Regelwerk macht den Bindestrich zu einem der wichtigsten Satzzeichen: Jedes Wort, in welchem drei gleiche Konsonanten aufeinanderfolgen, kann der besseren Lesbarkeit halber mit einem Bindestrich geschrieben werden, so sagt's die neue Regelung, selbst so kurze Wörter wie z. B. "Schloss-Spuk" oder "Schloss-Stube".

Die Erfindung des "ß" war genial! Das wußte sogar schon der Herr Geheimrat Goethe. Übrigens schreibt sich das "ß" viel einfacher und flüssiger als ein "ss", und in Schreibschrift beherbergt es ja auch zwei s-Laute in sich. Legen Sie es einfach mal quer!

Bleistift
Die Interpunktion - Über das Weglassen von Kommas ...

Die alte Regel sagt frei formuliert: Zwei Hauptsätze werden immer durch ein Komma getrennt, wenn zwischen beiden auch ein Punkt stehen könnte. Die neue, ersetzende Regel sagt:

"Nach der neuen Regelung wird prinzipiell kein Komma mehr gesetzt, wenn zwei Hauptsätze durch und, oder beziehungsweise/bzw., sowie (=und), wie (auch) oder weder ... noch miteinander verbunden sind, weil diese Konjunktionen das Komma ersetzen (wie in Aufzählungen). Zur besseren Gliederung kann man jedoch ein Komma zwischen die Sätze setzen - besonders wenn sonst die Verständlichkeit leidet." [3]

Der Leser möge selbst prüfen, welche Regel ihm einfacher erscheint. Aber unabhängig davon, ob es nun einfacher ist, einen Hauptsatz zu erkennen oder diese komplizierte Bedingungs- und Ausnahmeregel zu pauken, werde ich an wenigen Beispielen zeigen, wie unüberlegt deren Erfinder hier gewerkelt haben und wie wenig "eine Konjunktion ein Komma ersetzen" kann. Es gehören schon ausgesprochen viel Mut, Unverfrorenheit oder eine absolute Nullbildung dazu, die Aneinanderfolge von Hauptsätzen einer Aufzählung gleichzusetzen!

Tja, und dann wieder diese Selbstaufhebung der Regel für den Fall, daß eventuell und vielleicht aber nun doch leider die Verständlichkeit leiden könnte:

"Bei gleichrangigen Sätzen, die durch und, oder, usw. verbunden sind, kann man ein Komma setzen, um die Gliederung des Ganzsatzes deutlich zu machen." [3]

Was soll dieser Unfug?! "Wenn ein lehrbares Kriterium fehlt, herrscht Beliebigkeit" [2]. Es wird die Sprachkompetenz des Schreibenden vorausgesetzt. So einfach geht das! Lesen wir mal ganz unbedarft die folgenden Sätze:

Meinen Sie nicht, daß der Leser "ab und zu" doch gerne mal ein Komma sehen möchte? Wir schreiben doch für die, die lesen! Das Komma ist eine so überaus geniale Erfindung, warum soll es nun gerade bei größter Notwendigkeit nicht mehr gesetzt werden müssen? Es ist doch so einfach, mit diesem kleinen Krakel Irritationen oder Lesehemmungen von vornherein auszuschließen! Hier gleich noch so ein Beispiel, welches in [3] sogar ausdrücklich als Erläuterung dieser neuen Komma-regel angeführt wird und sich so wunderherrlich in den eigenen Hintern beißt:

"Wir warten auf Euch und die Kinder gehen schon voraus."

Merkt denn hier keiner der Reformspezialisten, daß der Leser mit diesem Satz ein Problem haben kann? Wenn hinter Euch kein Komma steht, erwartet der Leser im voraus hinter Kinder einen Punkt und liest den Satz bindend, statt nach Euch eine Pause zu machen. Vor gehen wird er dann ein wenig stutzen und plötzlich die wahre Aussage des Satzes erkennen.

Nun sollen aber nicht nur beieinanderstehende Hauptsätze vom lästigen Komma befreit werden, sondern es trifft auch den sogenannten erweiterten Infinitiv mit zu. Und wen die nachfolgenden drei Beispiele dann noch immer nicht aus seinem Dummenschlaf wachrütteln, dem kann ich auch nicht mehr helfen:

"Der Vater empfahl dem Lehrer nicht zu widersprechen." ...

Was, zum Teufel, ist hier gemeint??? Das, was dasteht, oder fehlt hier ein Komma? Die "Deformer" setzen hier ausgerechnet zwei der überhaupt wichtigsten Kommaregeln außer Kraft! Ich bin nicht bereit, Schwachsinn zu lernen, und ich bin schon gar nicht bereit, Schwachsinn zu lehren! Ich will an dieser Stelle noch einmal aus [2] zitieren, denn ich kann die nachfolgende Essenz nicht besser darstellen: "Der Haupteffekt scheint also zu sein, daß in der Schule gewisse Arten von Kommafehlern keine mehr sein sollen. Das hätte man billiger haben können." ... "Wenn nun ... die Kommas aus unerfindlichen Gründen einmal stehen, ein andermal fehlen, kann sich beim Lernenden keine Sicherheit einstellen. Es ist auch nicht zu erwarten, daß diese Unsicherheit als 'Gewinn an Freiheit' erfahren wird." ... "Bei der Kommasetzung ist noch besonders zu beklagen, daß die Zahl der darauf bezüglichen Regeln sich nur scheinbar verringert hat, da sich unter den wenigen Paragraphen in Wirklichkeit eine Unmenge als 'Erläuterung' getarnte Sonderregeln verbergen".

Ich stelle mir gerade vor, wie mir ein kleiner dudengestärkter Naseweis entgegnet: "Ich schreibe das ohne Komma, das steht so im Duden, weil das kann man so machen. Außerdem verstehe ich den Satz gut. Wenn Sie den Satz nicht verstehen, ist das Ihr Problem". Quo vadis, meine Welt?

Bleistift
Kleines Fazit (Auszug) ...

"Ich habe nichts dagegen, wenn im Frieden Schwachköpfe in den hohen Ämtern sitzen. Aber im Krieg sollte man zum Kriegsminister nur einen Mann bestellen, der eine Landkarte von einem Teppichmuster unterscheiden kann." Lion Feuchtwanger, aus: "Füchse im Weinberg"

Bis auf wenige Ausnahmen, die tiefergehend untersucht werden müßten, bringt die Reform weder Transparenz noch Einfachheit in Rechtschreibung und Grammatik. Eher ist sie nutzlos, inkonsequent, undurchsichtig, verwirrend und birgt die Gefahr großer Unsicherheit und neuer Fehlerquellen. Darüber hinaus

Wie ich sicherlich deutlich machen konnte, verlangen die reformierten Regeln ein noch höheres Maß an Wissen, Intelligenz und Feingefühl bei der Auswahl von Schreibweisen als die jetzigen. Somit wird dem ach so schützenswerten Schüler eine noch größere Verantwortung zuteil, als die Reformer es eigentlich wollten, denn laut Regelwerk soll der ja in vielen Fällen nun selbst entscheiden, was gut, richtig und verständlich ist. Das Regelwerk selbst drückt sich davor. Drückt sich aber der schreibschwache Schüler (und um den geht es hier ja wohl die ganze Zeit) nun aber auch davor, so entstehen in Zukunft absonderliche Werke der Schreibkunst, die kein vernünftiger Mensch mehr lesen kann und will.

Es darf doch nicht angehen, daß wir den heutigen Kindern und Lernwilligen ihre Fähigkeit zum Erlernen der deutschen Sprache absprechen, sie als lernfaul einstufen, für die Primitives gerade gut genug ist! Es ist unverantwortlich und moralisch nicht vertretbar, daß Millionen Erwachsene im öffentlichen Dienst genötigt werden, falsche und sinnentstellende Schreibgebilde zu fabrizieren.

Offenbar versuchen hier einige Reformer, die Stilblüten ihrer eigenen Schreibschwäche und der unserer Erstkläßler in den Duden zwingen zu wollen.

Das neue Regelwerk enthält "... allerlei Firlefanz in Randbereichen, vor allem die ... lächerlichen Volksetymologien, die das Steckenpferd eines einzigen Reformers waren, nun aber einer Sprachgemeinschaft von 90 Millionen Menschen aufgenötigt werden" [2].

Spätestens an dieser Stelle dürfte klarwerden, daß sich der Lernaufwand in Zukunft ordentlich erhöhen statt verringern wird. Wo unterschiedliche Varianten existieren, erwartet der Leser, daß sie auch Verschiedenes bedeuten (Bréalsches Verteilungsgesetz, [2]). Und das tun sie ja auch. Ich bedaure den Teil der Lehrerschaft, der Eltern und vieler anderer, die sich aus ihrem Innersten heraus vorgenommen haben, den Heranwachsenden ein gutes Maß an Schreibkultur zu vermitteln. Denn die "Reform" ist offenbar alleinig darauf ausgerichtet, Fehler in der Schreibung zu minimieren, nicht jedoch darauf, die schriftsprachliche Einheit zu festigen und damit die schriftliche Kommunikation zu unterstützen. Die "Reform" beseitigt leserfreundliche Schreibungen und orientiert sich dabei an einem niedrigen Niveau. Man kann dieses Bestreben durchaus reaktionär nennen.

Lehrer stellen inzwischen fest, daß die Fehlerquote an den Schulen zu- statt abnimmt. Die Schüler sind mit den vielen Ausnahmen des künstlichen Regelwerks offenbar überfordert oder werden vom Regelwerk in ihrer Entscheidungsfindung alleingelassen. Es ist vorstellbar, daß zu dieser Thematik in naher Zukunft wissenschaftliche Arbeiten entstehen werden. Trotz der überaus starken Lobby der Reformer und der Suggerierung durch die Medien, daß die Reform "gelaufen" sei, ist abzusehen, daß sich die Rechtschreibreform langfristig nicht durchsetzen wird. Intelligente Schüler schreiben bereits heute wieder nach den "alten" Regeln. Viele Deutschlehrer sehen sich genötigt und übernehmen die neuen Regeln nur widerwillig. Fachlehrer lassen es freigestellt, wie ihre Schüler außerhalb der Deutschstunde schreiben.

Das Bundesministerium des Innern teilte dem Verein für deutsche Rechtschreibung und Sprachpflege e. V. im Schreiben vom 13. Oktober 1999 mit, daß "weder an Schulen noch in Verwaltungen... Sanktionen an die Anwendung der neuen und alten Rechtschreibung geknüpft" sind. Damit solle die Bereitschaft gefördert werden, sich mit den neuen Regeln vertraut zu machen. [28] Niemand kann rechtlich gezwungen werden, die neue Schreibung anzuwenden.

Zum Zeitpunkt der Drucklegung existieren deutschlandweit ca. 50 Vereine und Initiativen gegen die Reform, und weitere sind in Gründung. Trotz der generellen Umstellung der Nachrichtenagenturen auf Neuschrieb am 1. August 1999 erscheinen viele Zeitungen und nahezu die gesamte Belletristik nach wie vor in der klassischen Schreibweise. Die Tatsache, daß selbst die Nachrichtenagenturen die Neuschreibung nur halbherzig umsetzen und ihr eigenes "abgeschwächtes" Regelwerk kreiert haben, ist ein deutliches Indiz dafür, daß die neuen Regeln nicht brauchbar sind.

Bleistift
Die Rechtschreibreform ist einzig dafür gut, um ein wenig Spaß zu haben ...

Zu Weihnachten wollen wir heimlichtun,
sonst müssen wir's nämlich heimlich tun.


Dieser Reim ist in einer meiner Sternstunden entstanden und wäre in Neuschrieb gar nicht mit dieser hohen poetischen Qualität notierbar: Das Wort heimlichtun, so wichtig vor allem für Kinder, wurde abgeschafft. Ja, für Dichter und Schriftsteller brechen schwere Zeiten an. Schreiben sie in "Neu", haben sie ein grundsätzliches Problem, schreiben sie in "Klassisch", werden sie von den Kindern als altmodisch eingestuft oder gar ausgelacht. Eltern sollten ihre Bibliotheken verschließen, sonst entdecken ihre Kinder womöglich eine bessere Schreibweise als die, die sie in der Schule lernen! Ich finde das alles "belämmert". Oh, Du armes Jungschaf, für welchen Unfug mußt Du heute herhalten! Das "Blässhuhn" wird zum blassen Huhn ...

Schreiben wir eigentlich behemmert oder behämmert? Neben eines Besseren ist nun auch eines „Bessren" zugelassen. Wem nutzt das? Vielleicht nutzt das der allein stehenden Frau. Stützt sie jemand? Nein, aber sie ist allgemein gebildet ... und hat ihre Beine übereinander geschlagen. Aua! Wir wollen es ihr nicht übel nehmen. Sie hat eine tief schürfende Wunde. Die Wunde wird also noch drei Tage lang ordentlich tief schürfen. Und danach hat die Frau dann eine tiefstschürfende Wunde. Sie ist heute sowieso schlecht gelaunt, aber nicht unbedingt missgelaunt. Sie hat nämlich eine vorwärts weisende Entdeckung gemacht, die allerdings nicht zukunftsweisend ist. Experten schätzen die hoch gewachsene Dame als weit schauend. Sie hat offensichtlich gute Augen und ist weitsichtig. Somit kann sie gut Rad fahren und bergsteigen. Sie beherrscht die hohe Schule des Kletterns. Ihre Tochter spielt Klavier, aber die wird bald flöten gehen. Sie hat nämlich ihre alten Lieder wieder entdeckt ...

Die Rechtschreibreform ist einzig dafür gut, um ein wenig Spaß zu haben. Ich verzichte jetzt bei den folgenden Neuschriebkuriositäten einfach mal auf die Kursivdarstellung:

Da hätte man lieber alles beim Alten (bei wem?) lassen sollen ...

Bleistift