Rechtschreibreform - Nein danke
Vorwort zur zweiten Auflage
Nein, es gibt keine zweite Auflage! Letztere sollte - engagiert wie ich bin - im Sommer 2011 erscheinen. Warum?
Im September 2009 wurde mein Junge eingeschult. Ich hatte mir vorgenommen, die Lehrer nicht zu ärgern und in Sinne einer guten Benotung meines Sprößlings in Sachen Deutsch nichts zu riskieren und keine Irritationen zu provozieren. Gegen das berühmte und so unheimlich "ein-deutige" ss nach Kurzvokal und gegen mit im Einzelnen konnte ich sowieso nichts ausrichten, und Tollpatsch schreibt man nicht so oft im Leben. Ich hatte mir aber auch vorgenommen, die Schule genau dann in die Pflicht zu nehmen, wenn Lehrer lt. atuellem Duden zugelassene gleichberechtigte oder alternativ "erlaubte" Schreibungen als Fehler bewerten sollten, beispielsweise Alptraum (statt neu: Albtraum). Hierzu sollte das neue Buch eine zusammenfassende Liste enthalten.
Ebenso wollte ich unsere Schriftsprache hinsichtlich ihrer Redundanz analysieren, respektive wie falsch darf man schreiben, damit der Lesende den Sinn (gerade noch) versteht. Auch hatte ich damals einen komplexen FNR-Kontverter (Falsch-Nach-Richtig-Konverter) entwickelt, der den Neuschrieb eine Word-Textes in die vernünftige klassische Schreibung zurückverzauberte ...
Schauen wir zurück: Zum Zeitpunkt des Erscheines meiner Erstauflage im Jahre 2000 überschlagen sich die Ereignisse:
- Am 1. August 2000 geht die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) überraschend wieder zur herkömmlichen, traditionellen Rechtschreibung zurück; andere Zeitungsverlage ziehen nach, u. a. BILD.
- Wenig später entscheidet sich auch der Deutsche Hochschulverband zur Wiedereinführung der bisher regulären Schreibung.
- Wie ein „Schildbürgerstreich“ mutet die Herausgabe eines von Professor Theodor Ickler völlig neu konzipierten Rechtschreibwörterbuches auf der Basis der seither altbewährten deutschen Rechtschreibung und Grammatik an.
- Im World Wide Web plazieren die großen Verlage plötzlich jede Menge Online-Umfragen, wohl um herauszubekommen, wie der geneigte und vielleicht im Zuge der Reform verlorengegangene Leser denn nun in Zukunft gern lesen möchte: In Neuschrieb oder in der herkömmlichen, traditionellen Schreibung. Die an den Umfragen teilnehmenden Befürworter der herkömmlichen Schreibung pegeln sich so bei 70...80% ein.
- Der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki mischt sich in die neu entbrannte Debatte um die neue Rechtschreibung ein und empfiehlt allen Schreibenden, vorläufig bei der alten Orthographie zu bleiben.
- 7. August: Namhafte Schriftsteller und Professoren schließen sich dem Aufruf des Nobelpreisträgers für Literatur Günter Grass an, "... zur bewährten und besseren Rechtschreibung ..." zurückzukehren.
Unabhängig davon wird die in der Bevölkerung umstrittene Rechtschreibreform offenbar stillschweigend überarbeitet. Nach Informationen der WELT habe die Rechtschreibkommission aus negativen Erfahrungen gelernt und plane "tief greifende" (Achtung, Neuschrieb!) Änderungsvorschläge.
Die Wörterbuchverlage Bertelsmann und Duden handelten prompt und nahmen Teile der Rechtschreibreform wieder zurück. Für zahlreiche Schreibweisen, die im ersten Duden nach der Rechtschreibreform verbindlich festgelegt waren, wurden wieder herkömmliche Schreibweisen zugelassen. Nur: Alle Duden ab Erscheinungsjahr 1997 dürften unbrauchbar sein, zumal weitere Korrekturen angekündigt wurden, und jedesmal war es dann die "verbindliche einheitliche Rechtschreibung".
Die Reform hat großen Schaden angerichtet. Eltern sahen sich gezwungen, neue Schulbücher zu kaufen, und die Unwissenheit vieler Leute in Sachen Schreibung wurde schamlos ausgenutzt. Behörden, Institutionen und Industriefirmen haben mehr oder weniger freiwillig auf den Neuschrieb umgestellt und den damit verbundenen völlig sinnlosen Aufwand hingenommen. Vereine, Initiativen und Privatpersonen haben sich mit z. T. nicht unerheblichen finanziellen Mitteln für den Erhalt unserer Schriftsprache eingesetzt. Aber ein Gutes hatte dies: Die Kinderbibliotheken verramschten für 50 ct herrliche Kinderbücher ...
Die WELT antwortete mir am 1. August 2000 auf meinen Leserbrief:
"... Zuweilen muss man aber auch Einsicht in die Notwendigkeit haben. Die Kultusminister aller deutschen Bundesländer, Österreichs und der Schweiz haben nun einmal eine neue Rechtschreibung beschlossen. Alle großen deutschsprachigen Verlage und alle Agenturen haben sich - mit hohen Kosten -umgestellt... Die neue Rechtschreibung wird seit nunmehr vier Jahren an den deutschen Schulen unterrichtet. Dem Entschluss der Frankfurter Allgemeinen Zeitung können wir uns nicht anschließen, da uns das Ignorieren bestehender Rechtsnormen beim besten Willen und trotz des verlockenden Ergebnisses nicht als Königsweg erscheinen mag ..." (DIE WELT, Chefredaktion, Dr. Wolfram Weimer, Axel-Springer-Str. 65, 10888 Berlin).
Seit dem Jahre 2010 ...
... überschlug sich dann gar nichts mehr; man hatte sich allgemein an den Tatbestand einer neuen Schreibung gewöhnt, Kämpfe aufgegeben oder zeigte sich generell desinteressiert an diesem "unwichtigen" Thema. Inzwischen sind FAZ und auch BILD wieder zum Neuschrieb gewechselt.
Aus der Rechtschreibkommission ist der Rat für deutsche Rechtschreibung geworden, der seine Aufgabe zunächst darin sah, „einen Kompromiss zwischen Reformbefürwortern und Reformkritikern auszuarbeiten und somit für die Einheitlichkeit der deutschen Rechtschreibung Sorge zu tragen“. Bereits 2006 legte der Rat „als Ergebnis dieser anspruchsvollen und schwierigen Arbeit ... eine revidierte Fassung des amtlichen Regelwerks vor, das am Schreibgebrauch ausgerichtet und dabei systematischer als die alte Rechtschreibung ist“. Seine Aufgaben formuliert der Rat im Jahre 2008 so:
"Der Rat für deutsche Rechtschreibung wird - als die zentrale Instanz in Fragen der Rechtschreibung - die weitere Entwicklung begleiten und Sie über seine Beobachtungen informieren".
Der Rückbau ging stetig, aber unbemerkt weiter, und es ist zweifelhaft, ob beispielsweise die Rücknahme der Liberalisierung von Kommaregeln bis in die Schulen durchgedrungen ist. Irgendwo las ich dann, daß
"... die neue Rechtschreibung nach Ende der Übergangszeit in Schulen notenrelevant" sei, und dies ab dem 1. August 2009. Wer "hochmodern"“ schreiben will, muß also jedes Jahr bestimmte Wörter und regeln (welche?!) erneut nachschlagen. Nein danke!