Kürzel Lg
Gegen Willkür, Unaufrichtigkeit, Unrecht und Stillosigkeit im Umgang miteinander kommt man mit logischen Überlegungen und vernünftigen Argumenten oft nicht an. Als letztes Mittel gegenüber obiger Standardeigenschaften der westlichen zivilisierten und intelligenten Welt hilft oft nur noch die Satire, zumindest um sich selbst wieder aufzubauen. Das folgende Liedchen widme ich zwangsweise meinem ... hm, na gut, lassen wir’s davei... Eine Gehaltsrunde in einer süddeutschen mittelständischen Firma, in der man sich gegenseitig mit Abkürzungen statt mit Titel und Namen anspricht, in der absolut freien Marktwirtschaft kurz vor der Jahrtausendwende (2000!) kann z.B. so aussehen:
Seit Tagen schmeckt mir kein Essen, und ich schlafe ganz schlecht
denn ich bereite mich vor, aber ich weiß nicht so recht,
ob ich alles bedacht habe an Eventualitäten,
denn ich tu nicht so gern über mich selber reden.
Seit 7 Jahren bin ich in der Probezeit
und morgen, dann endlich, ist es so weit:
Das ersehnte Gerücht wird zur frohen Kunde,
denn morgen ist meine erste Gehaltsgesprächsrunde.
Vorsichtshalber komm ich drei Stunden früher ins Büro,
ich trau mich nicht mehr raus und schon gar nicht auf's Klo.
Doch der Anruf kommt erst mittags, als mich ganz ungeniert
die Chef-Sekretärin zu ihrem Chef zitiert.
Und selbstsicher so wie nie in alten Zeiten
lasse ich mich in den tiefsten aller Sessel gleiten,
erwidre die Frage, wie's mir so ginge
und bitte, daß man mir 'nen Kaffee bringe.
Dann beginne ich zu reden und ich lobe mich kräftig,
die Kollegen mach ich schlecht, und ich wehre mich ganz heftig
gegen alles, was irgendwie nicht gut an mir wäre,
und so bastle ich geschickt an meiner Karriere.
Ich schließ mit der Bemerkung, daß ich nach so langer Zeit
an Einarbeitung, Fleiß und Belastbarkeit
bei noch auszuhandelnder Höhe meiner monatlichen Bezüge
eine höhere Position in Erwägung züge.
Denn schließlich bin ich gut und der beste von allen,
ich kenne das Geschäft und erahne alle Fallen,
ich weiß, wie ich Kunden über breite Tische zieh
im Sinne unserer Firma und ganz speziell für Sie.
Der Chef steht auf, nimmt seinen Mantel vom Haken
und bestellt überraschend seinen privaten Dienstwagen.
Jetzt bleiben Sie mal ruhig, hörn Sie auf mit dem Geschwafel,
ich lad Sie heute ein zur Mittagstafel.
Oh fein, denk ich und freu mich enorm über diese Ehrung
in Erwartung einer ganz besonderen Gehaltszuwachsmehrung
und sehe mich schon in einer außergewöhnlichen Position
mit Macht und Kompetenz und als Schwiegersohn.
Höchst motiviert bestelle ich auf des Kellners Anraten
einen eigens für mich totgeschossenen Hasenbraten.
Ich fühle mich geehrt, und hell entflammt mein Licht,
als der Kellner mich mit Titel und mit Namen anspricht.
Das Gespräch geht ums Wetter und um die Welt,
und als mein Chef zum vierten Male Wein bestellt,
seh ich das "Du, ich bin Erwin." in seinem Gesicht,
nun ja, ich kann ihn verstehn, er traut sich nicht.
Nun, sagt er, ich setze Ihr Einverständnis voraus
und komme mal zur Sache, also, so siehts aus:
Die Auftragslage ist gut dank unserer Firmenphilosophie,
aber ob das auch so bleibt, das weiß man nie.
Ja, und Deutschland ist gebeutelt von der Rezession.
Ich nehme an, Sie sind infomriert und wissen das schon,
Wir orientieren uns trotzallem an der tariflichen Lage
von Gewerkschaft und Verbänden und sind somit in der Lage,
Ihnen zwo komma null sieben acht Prozent anzubieten
und nehmen an, Sie sind damit mehr als zufrieden.
Der Schlag sitzt tief, das Gespräch das hinkt,
der Hasenbraten kommt, der Hase der stinkt!
Nun holt er aus der Tasche etwas Dickes heraus,
das sieht so ganz und gar nach meiner Personalakte aus.
Scheiße, denk ich, und schon zeigt er voller Entzücken
mir die Fehler vom Vorjahr, um mein Gehalt zu drücken.
Ihre Arbeitskultur, schauen's hier, die ist zum Jammern:
Sie können ja nicht mal richtig heften und klammern!
Ich verlange gerade Seiten und 35 Grad
Neigungswinkel und in der Tat:
Sie können ja nicht mal richtig kopieren,
hier: Am Seitenrand der Strich, in der Mitte die Schlieren!
Der Kopierer war defekt, soviel ich weiß...
Dann nehm' Sie doch 'nen andern, was soll der Scheiß!
Naja, lassen Sie sich's schmecken und erzähln’S mir nebenbei,
was in unserm Haus vielleicht noch zu verändern sei,
was Ihnen hier vielleicht nicht so ganz gefällt,
was sich unserm Aufschwung in den Wege stellt.
Endlich, denke ich, ist meine Meinung wichtig,
trotzallem meine Chance, und ich steigere mich richtig
rein in meine lang gesammelten Gedanken
und rede über Strukturen und störende Schranken
Gewinnen könnte man hier nach meiner Meinung
durch Verbesserung in dieser und jener Abteilung
bezüglich Qualität und Management...
Motivation durch Verantwortung, das sei der Trend.
Der Mensch wächst durch Aufgaben, durch Fehler und Vertraun...
Sagen Sie, wolln Sie mit Gewalt meinen Umsatz versaun?
Von der Wirtschaft hier verstehn Sie nichts, Sie komm' ja aus dem Osten.
Die Arbeit ist mein Gnadenbrot und ich darf nichts kosten.
Mir ist kotzübel, mein ICH, das will sich wehren,
der Kellner kommt und fragt nach weiterem Begehren.
Ich winke dankend ab und schärfe meinen Sinn,
daß ich nur ein ganz kleines Kürzel bin
Ich verlange gerade Seiten und 35 Grad Neigungswinkel
Ich verlange ovale Seiten und 98 Grad Neigungswinkel
Ich verlange runde Seiten und 397 Grad Neigungswinkel
Ich winke danke ab und schärfe meinen Sinn,
daß ich nur ein kleines Kürzel bin.
Nur ein ganz, ganz kleines Kürzel,
nur ein ganz, ganz kleines, ...
Text und Musik: ©Jürgen Langhans. Karlsruhe, Ostern 1996
(nach meiner zweiten Abmahnung)