Leserbriefe


Brief 1: Der Vater empfahl dem Lehrer nicht zu widersprechen
Eine kritische Publikation zur Rechtschreibreform

"Ich habe nichts dagegen, wenn im Frieden Schwachköpfe in den hohen Ämtern sitzen. Aber im Krieg sollte man zum Kriegsminister nur einen Mann bestellen, der eine Landkarte von einem Teppichmuster unterscheiden kann." (Lion Feuchtwanger aus: "Füchse im Weinberg")

Bis auf wenige Ausnahmen bringt die heute vorliegende Reform weder Transparenz noch Einfachheit in Rechtschreibung und Grammatik. Eher ist sie nutzlos, inkonsequent, undurchsichtig, verwirrend und birgt die Gefahr von Unsicherheit und neuer Fehlerquellen. Sie bewirkt eine akute Verkomplizierung der Satzverständlichkeit und der Lesbarkeit, und, was am schlimmsten ist, sie zerstört die schriftsprachliche Einheit. Ganze Generationen werden mit unterschiedlichen Orthographien aufwachsen und diese weitergeben.

Besonders verheerend wirkt sich die Liberalisierung der Interpunktion auf die Satzverständlichkeit aus: "Der Vater empfahl dem Lehrer nicht zu widersprechen." Dieser Satz läßt nach der Neureglung drei unterschiedliche Interpretationen zu: 1. Ohne Komma (d.h., der Vater gab keine Empfehlung), 2. Komma hinter "empfahl", 3. Komma hinter Lehrer. Die neuen Regeln verlangen ein noch höheres Maß an Wissen, Intelligenz und Feingefühl bei der Auswahl von Schreibweisen als die jetzigen. Da sich das neue Regelwerk mit einer Vielzahl von Beliebigkeiten und Varianten schmückt, geht die Verantwortung der Schreibung nahezu allein auf den Schreibenden über. Somit wird dem ach so schützenswerten Schüler eine noch größere Verantwortung zuteil, als die Reformer eigentlich beabsichtigten. Drückt sich aber der schreibschwache Schüler nun vor dieser Verantwortung, so entstehen in Zukunft absonderliche Werke der Schreibkunst, die kein vernünftiger Mensch mehr lesen kann und will.

Es kann nicht das Ziel einer Reform sein, auf Kosten der Lesbarkeit unserer über Jahrhunderte gewachsenen Sprache Altbewährtes leichtsinnig dem Reißwolf zu übergeben, nur weil einige Leute Fehler beim Schreiben machen! Es kann doch nicht angehen, daß eine Minderheit von schreibschwachen Schülern das entscheidende Kriterium für eine Umgestaltung der Schriftsprache darstellt!

Zensuren werden nicht mehr den wahren Bildungsstand eines Schülers repräsentieren können. Schon jetzt geraten gewissenhafte Lehrer in einen Konflikt mit der übergeordneten Behörde. Überall dort, wo beim Schreiben Beliebigkeiten und Varianten zugelassen sind, werden natürlich schon aus rein primitiv-mathematischer Sicht keine Fehler mehr auftreten. "Schreibt, wie Ihr wollt!", könnte man das nennen, und wer hier meint, er könnte dann aus Fehlerquoten in Diktaten auf die Qualität des Schülers schließen, dem darf ich mit gutem Gewissen seine Kompetenz in Sachen Schreibung und Pädagogik absprechen. Den Schaden, den ein solcher Nichtkompetenter damit anrichtet, dürfte sein lernendes Volk spätestens mit dem Eintritt in ein seriöses Berufsleben bemerken.

Ich bin gespannt, wer hier irgendwann einmal für verantwortungslose Volksverdummung, Geldverschwendung und Zerstörung kultureller Güter zur Verantwortung gezogen werden wird.

Dr. Jürgen Langhans, Karlsruhe. Erschienen in der TAZ Nr. 5559 vom 18.06.1998 Seite 16
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Brief 2: Wir schreiben für die, die lesen
Schleswig-Holstein nach dem Volksentscheid

Es gehörte schon immer eine gehörige Portion Mut dazu, als Einzelner das Richtige zu tun, wenn alle anderen das Falsche längst zum Gesetz erhoben hatten: Schleswig-Holstein hatte diesen Mut. Der Ausgang des Volksentscheids vom 27. September zur "Rechtschreibreform" verdient Respekt. Nun haben wir also endlich das Schreibchaos. Das Kuriosum, daß die Sache des Schreibens in den Hoheiten der einzelnen Bundesländern liegt, hat nun ganz legitim zur Folge, daß ein einziges Bundesland ausscheren und nun "anders" als alle anderen Bundesländer, nicht zu sprechen vom deutschsprachigen Ausland, schreiben darf.

Aber dieses Chaos haben nicht die Schleswig-Holsteiner zu verantworten, sondern diejenigen, die diese "Reform" mit aller Gewalt vorbei an jeglicher sachlicher und fachlicher Vernunft durchzusetzen versuchen. Die Schleswig-Holsteiner haben sich guten Gewissens gegen eine Trivialisierung der deutschen Schriftsprache und für den Beibehalt der schriftsprachlichen Einheit entschieden. Sie wollen nicht nach diesen unsinnigen neuen, künstlichen Regelungen schreiben, die kein Mensch braucht, und sie wollen das auch ihren Kindern ersparen.

Warum brauchen wir plötzlich die Andersschreibung einiger weniger komplizierter Wörter wie Känguruh, wo es doch 1000 andere lernintensive Wörter gibt? Warum brauchen wir so dringend die Trennung A-bend? Wieso soll "kurzfassen" gemäß der Steigerungsregel in Zukunft auseinander geschrieben werden, obwohl es doch ein souveränes Wort ist und "kurz fassen" etwas anderes bedeutet? Warum ist es unbedingt notwendig, "ß" durch "ss" zu ersetzen, wenn die Regel mit dem kurzen Vokal ja doch nicht überall greifen kann? Die Entscheidung, ob eine Konjunktion ("dass") oder ein Artikel ("das") vorliegt, nimmt dem Schreibschwachen diese neue Regel auch nicht ab. Und warum ist es auf einmal so wichtig, daß die persönliche Anrede in Zukunft kleingeschrieben werden darf? Was nützt mir die Zulassung eines Bindesstriches in "Centre-Court", wenn ich dieses Wort wegen grundsätzlich fehlender Kenntnis sowieso nachschlagen oder erfragen muß?

Aber der schlimmste Brocken ist die Liberalisierung der Zeichensetzung. "Der Vater empfahl dem Lehrer nicht zu widersprechen." Ein Komma vor einem erweiterten Infinitiv mit "zu" muß nicht mehr gesetzt werden. Merkt denn hier keiner der Reformspezialisten, daß dieser Satz nach der neuen Komma-Regel drei völlig unterschiedliche Bedeutungen haben kann? Oder: "Wir warten auf Euch und die Kinder gehen schon voraus." Nach "Euch" muß in Zukunft kein Komma mehr stehen. So was kann man nicht vernünftig lesen!

Es gibt unzählige Beispiele, und es ist so leicht, dieses ganze Unregelwerk zu entzaubern!

Die reformierten Regeln verlangen wegen ihrer Unverbindlichkeit ein noch höheres Maß an Wissen und Feingefühl bei der Auswahl von Schreibweisen als die jetzigen, wenn der Lesende das Geschriebene so interpretieren soll, wie es der Schreibende beabsichtigt hatte. Somit wird dem ach so schützenswerten Schüler eine noch größere Verantwortung zuteil, als die Reformer eigentlich wollten, denn laut Regelwerk soll er ja in vielen Fällen nun selbst entscheiden, was gut, richtig und verständlich ist. Das neue Regelwerk selbst drückt sich davor. Drückt sich der schreibschwache Schüler nun aber auch davor, so entstehen in Zukunft absonderliche Werke der Schreibkunst, die kein vernünftiger Mensch mehr lesen kann und will. Der Schreibende hat dem Lesenden gegenüber eine Verantwortung: Wir schreiben für die, die lesen! Das Empfinden des Lesers hat Primat vor den Wünschen des Schreibenden. In diesem Zusammenhang ist es zweifellos vorteilhaft, wenn Wörter stets auf gleiche Weise geschrieben werden, damit sie der Leser gleich wiedererkennt und nicht buchstabieren muß.

Die Pflicht zur Neuschreibung besteht lediglich für Schulen und Behörden. Das ist auch ausreichend, denn die können sich am wenigsten wehren. Aber der Weg, die Reform über die Schulkinder durch die Hintertür einzuführen, ist ungeheuerlich! Kinder lernen schließlich erst mal "alles", ob Gutes oder Schlechtes". Woher sollen die denn wissen, daß man eigentlich viel besser schreiben kann, wenn ihnen doch die bisher gültige Schreibung vorsätzlich vorenthalten wird? Und schreiben dann Eltern und Kinder unterschiedlich? Wer schreibt dann "richtig"? Sollen Lehrer und Eltern gegen ihren Willen den Kindern Unfug lehren? Ist das Primitive, ist die Lüge ("Tollpatsch"!) für die Kinder gerade gut genug? Woher nehmen die Reformer das Recht zu unterstellen, daß Kinder grundsätzlich nicht in der Lage sind, eine gute Schreibung zu erlernen? Wünschenswert wären dann auch unterschiedliche Kreuzworträtsel für Beamte und "Normalbürger".

Anstatt daß sich die Reformer und die verantwortlichen Politiker die so wichtige Frage stellen, warum denn immer mehr Kinder immer weniger in der Lage sind, richtig zu schreiben und zu formulieren, ja sich überhaupt sprachlich auszudrücken, suchen sie nach Wegen, die lästigen Fehler gewissermaßen zu legalisieren und den Anspruch dieser traurigen Realität anzupassen. Die Noten bestimmen in Zukunft den Stand des Wissens. Überall dort, wo beim Schreiben Beliebigkeiten und Varianten zugelassen sind, werden schon aus rein mathematischer Sicht weniger Fehler auftreten. Wer hier meint, er könne aus Fehlerquoten in reformgerecht manipulierten Diktaten auf die Qualität eines Schülers schließen, dem darf ich guten Gewissens seine Kompetenz in Sachen Schreibung und Pädagogik absprechen.

Auch kann mir keiner weismachen, daß die "Reform" die Chancen für den Einstieg in ein Arbeitsverhältnis erhöht. In welchem Bewerbungsschreiben steht das Wort "Tol(l)patsch"? Wenn sich ein Personalchef mehrfach durch ein fehlendes Komma gestört fühlt, wird er das Anschreiben wohl beiseite legen, auch wenn es nach den neuen Regeln korrekt ist. Inzwischen bewerben sich in unserer Firma Schreibkräfte mit dem Hinweis, daß sie der neuen Schreibung kundig sind und meinen, damit für sich und den Arbeitgeber etwas Gutes zu tun. Hiervor kann ich nur warnen! Das Wissen um einen "Fluss" statt "Fluß" macht noch lange keinen guten Schreiber aus! Die deutsche Schriftsprache hat weitaus mehr Eigenheiten, als eine Reform jemals abfangen kann. Stilvolles Schreiben will gelernt sein, daran ändern weder "dass" noch "A-bend" etwas.

Ich bedaure den Teil der Lehrerschaft, der Eltern und vieler anderer, die sich aus ihrem Innersten heraus vorgenommen haben, den Heranwachsenden ein gesundes Maß an Schreibkultur zu vermitteln. Die "Reform" ist nicht darauf ausgerichtet, die schriftsprachliche Einheit zu festigen, sondern sie beseitigt leserfreundliche Schreibungen und orientiert sich dabei an einem niedrigen Niveau. Das ist fatal. Ich bin nur gespannt, wer für diesen ganzen Klamauk irgendwann einmal zur Verantwortung gezogen werden wird. Das Volk hat für diese "Reform" reichlich bezahlt, und zwar in den Währungen "Kulturverfall" und "DM".

Dr. Jürgen Langhans, Karlsruhe. Spiegel-Forum #274
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Brief 3: Schreiben wir in Zukunft "Missthaufen"?
Leserbrief an die Badischen Neuesten Nachrichten zur Umstellung auf die neue Schreibung am 1.8.1999

Mit der Übernahme der "neuen Rechtschreibung" leisten die deutschsprachigen Nachrichtenagenturen unserer Schreibkultur keinen guten Dienst. Nun haben wir also drei Schreibungen: Die alte, die neue und die der Nachrichtenagenturen (Ihr Beitrag vom 31.7.1999), und selbst letztere kreieren noch einmal eine vierte Variante, indem sie zwischen visuellen und Audio-Agenturen differenzieren: Der Rundfunkbereich will wenigstens die Kommas nach der bisherigen Regelung setzen. Also muß ja doch was faul sein an der neuen Schreibung! Naja, die Nachrichtensprecher dürften nämlich beim Verlesen von Texten, in denen Kommas fehlen, ein Problem haben.

"Der Vater wartet auf ihn und die Kinder gehen schon voraus."

Hinter "Kinder" könnte auch ein Punkt stehen. Da ein Leser nie im voraus weiß, wie der Satz weitergeht, wird er stutzen und noch einmal lesen müssen. Warum liberalisieren die sogenannten Rechtschreibexperten die Zeichensetzung, wenn dadurch der Lesefluß eingeschränkt wird? Mit welchem Recht unterstellen wir unseren Kindern, daß sie es nicht lernen können, zwei Hauptsätze zu erkennen?

Am augenfälligsten ist natürlich die neue "ss"-Regelung. Wenn wir uns streng an die Regel mit dem sogenannten kurzen Vokal halten, dann dürfen wir in Zukunft "Missthaufen" oder "Lasstwagen" schreiben. Schließlich weiß ja ein Schreibneuling nicht, daß diese Wörter ursprünglich gar kein "ß" besaßen! Er richtet sich nur nach dem kurzen Vokal... Und die Wörter "misst" und "lasst" gibt es ja als konjugiertes Verb tatsächlich. Aber die Unterscheidung, ob wir "das" oder "dass" schreiben müssen, nimmt dem Schreibschwachen trotzdem keiner ab!

Rechtschreibkanon
Die reformierten Regeln verlangen wegen ihrer Unverbindlichkeit ein noch höheres Maß an Wissen und Feingefühl bei der Auswahl von Schreibweisen als die jetzigen, wenn der Lesende das Geschriebene so interpretieren soll, wie es der Schreibende beabsichtigt hatte. Somit wird dem ach so schützenswerten Schüler eine noch größere Verantwortung zuteil, als die Reformer eigentlich wollten, denn laut Regelwerk soll der Schreibende ja in vielen Fällen nun selbst entscheiden, was gut, richtig und verständlich ist. Das neue Regelwerk selbst drückt sich davor. Drückt sich der schreibschwache Schüler nun aber auch davor, so entstehen in Zukunft absonderliche Werke der Schreibkunst, die kein vernünftiger Mensch mehr lesen kann und will. Aber der Schreibende hat dem Lesenden gegenüber eine Verantwortung: Wir schreiben nämlich für die, die lesen! Es hätte in der Macht der gesamten schreibenden Zunft im In- und Ausland gestanden, diesen ganzen Schreibunfug zu vermeiden. Einem guten, belesenen und weltoffenen Schreiber muß sich doch das Herz verkrampfen, wenn er den überarbeiteten Duden aufschlägt! Statt dessen gehen seit dem 1. August fast alle Verlage konform. Sie werfen weg, was sich bewährt hat. Ich bedaure das sehr. Ich hatte für 14 Tage ein Probe-Abo der BNN, welches ich nun auf keinen Fall verlängern werde. Für die neue Schlechtschreibung bezahle ich, so es in meinem Einfluß steht, keinen Pfennig!

Dr. Jürgen Langhans, Karlsruhe.

Antwort der BNN, Dr. G. Windscheid, 2.8.1999: "...Die BNN veröffentlichen nur Leserbriefe zu lokalen, nicht aber zu allgemeinpolitischen Themen..."
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Brief 4: Deutsche Ausgabe von Márquez in "Neuschrieb"
Ein Leserbrief an die FAZ vom 23.02.2003

Vor geraumer Zeit veröffentliche die FAZ Auszüge aus "Leben, um davon zu erzählen" von G. G. Márquez. Inzwischen besitze ich den ersten Teils der Lebensgeschichte dieses großartigen Autors als Buch. Meine Freude über das so lang ersehnte Werk wich jedoch rasch einer argen Enttäuschung: Der Verlag Kiepenheuer & Witsch gibt dieses Buch unter Verwendung der sogenannten "neuen Recht-schreibung" heraus. Da vergeht der Spaß am Lesen. Es fasziniert mich immer wieder, wie renommierte Verlage die sogenannte Rechtschreibreform, dieses widersinnigste und überflüssigste Unterfangen, welches ich je in unserer gegenwärtigen Kulturgeschichte erleben durfte, stillschweigend hinnehmen und verbreiten. Wenn dieses von Absurditäten nur so wimmelnde "Regelwerk" jetzt auch noch in die Weltliteratur Einzug hält, wird der weniger informierten Leserschaft suggeriert, das mit der neuen Rechtschreibung sei so in Ordnung und alle müßten nun danach schreiben. Schlimm genug, wenn heute in den Schulen "aufwändig" oder "Missstand" gelehrt wird.

Ich verfolge diese Entwicklung mit Sorge. Aber es war alles schon einmal da: Márquez distanzierte sich in jungen Jahren von seinem ersten Roman, als er merkte, daß sein Verlag das Manuskript in eine "Hochsprache" veredelt und damit wesentlicher Aussagekraft beraubt hatte. Jedoch ist auch Kiepenheuer & Witsch offenbar nicht mit allen Einzelheiten der neuen Schreibung vertraut oder einverstanden. So finden wir in besagtem Buch eine fast durchgängig korrekte Kommasetzung, und wir lesen erleichtert "aufwendig" statt "aufwändig". Kiepenheuer & Witsch kreiert auf diese Weise seine hauseigene Orthographie und sorgt so für weitere Verwirrung in Sachen Rechtschreibung.

In der neuen Márquez-Übersetzung begegnen wir vielen "Klassikern" des Neuschriebs: "viel versprechend", "wohl wissend", "wie viel" (statt wieviel), "... hast du dich voll geschissen?", "... die ich kennen lernen musste.", "... in einem anderen Topf zur Reportage gar kochen wollte" oder auch "Carlos war ein frisch gebackener Rechtsanwalt ...", Mahlzeit! Inkonsequenterweise lesen wir "neugeborene Tochter." Das ist korrekt, nur wo liegt hier der orthographische Unterschied zu "frischgebacken"? "... einige tief schürfende Vorabkritiken ..." (sie schürfen tief), "... ein schwer wiegender Makel ..." (wie schwer?), "... jung und gut aussehend" (auch jung aussehend oder nur jung?) , "... mit einer seiner Schrecken erregenden Ideen ..." Erregen die Ideen den Schrecken? Außerdem liest man zunächst "mit einer seiner Schrecken" und stoppt dann kurz, bevor man merkt, daß da noch etwas kommt; der Lesefluß wird gestört.

Kiepenheuer & Witsch beseitigt hier auf Kosten der Lesbarkeit und des eindeutigen inhaltlichen Verstehens wider jeden Sachverstandes eigenständige Wörter. Im übrigen werden auseinander- bzw. zusammengeschriebene Wörter anders betont; der verantwortliche Redakteur möge das beispielsweise mal mit "voll geschissen" und "vollgeschissen" versuchen. Neben dem inzwischen fast schon legendären "es tut mir Leid" ("tut das Weh"?) gibt es weitere Kostbarkeiten: "Er entwickelte sich zu einem Alb, der ..." Die Alb ist ein Flüßchen, das bei Karlsruhe in den Rhein fließt und hat mit einem quälenden Nachtgespenst namens Alp nichts zu tun. "... wie Recht der Oberst hatte." Der Oberst hatte recht, aber doch kein Recht, oder? Und was wäre, wenn der Oberst unrecht hätte? Schrieben wir dann "Unrecht"? Im folgenden Beispiel wird der Unterschied deutlicher: "... und er hatte mehr Recht als jeder andere ..." Tja, und nun? Hier sind zwei Aussagen möglich: "recht haben" und "das Recht" haben! In Neuschrieb kann man erstere Aussage gar nicht mehr schriftlich formulieren! Aber genau diese Aussage ist wahrscheinlich gemeint, oder? Kurioser geht es kaum noch. Bezeichnend ist übrigens, daß sich derartige Fehler nur in alter Schreibweise erläutern lassen.

Machen wir weiter: "... ging ich als Erstes zu meinem Vater." Als wer oder was ging ich zu meinem Vater? "...im Esssaal", das "ß" ist als Auslaut-"s" eine geniale Lesehilfe; warum schafft man es hier ab? "... im Allgemeinen", man kann hier nicht "in dem Allgemeinen schreiben; das ist genauso absurd wie "mit im Einzelnen".

Ich bin nicht davon überzeugt, daß der Verlag Kiepenheuer & Witsch auch nur ein einziges Buch mehr verkauft, wenn er seine eigene Hausorthographie verwendet. Ich meinerseits werde kein neuwer-tiges Buch mehr von Kiepenheuer & Witsch beziehen und auch nicht empfehlen, solange dessen Bücher in dieser "gräulichen" (gemeint ist "greulich", aber dieses Wort gibt es ja auch nicht mehr!) Rechtschreibung erscheinen. Tröstlich ist, daß Herr Márquez die deutsche Ausgabe seines neuen Buches nie wird lesen können; er wäre ganz bestimmt entsetzt über uns Deutsche, die sich ihre eigene Sprache kaputtmachen.

Dr. Jürgen Langhans, Karlsruhe.
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Brief 5: Neue Experten für Sprache
Ein Leserbrief an die Südeutsche Zeitung vom 09.08.2004

Die Rechtschreibreform wurde von Leuten ins Leben gerufen, die offenbar kein Gespür für unsere Sprache haben. Der Reformansatz, den Schulkindern das Schreiben erleichtern zu wollen, weil deren Noten immer schlechter würden, ist falsch. Unsere Kinder sind heute nicht dümmer als vor 1996. Natürlich sind sie einer anderen, nicht gerade lesefreundlichen Umgebung ausgesetzt. Aber die wirklichen Ursachen für schlechte Rechtschreibnoten liegen sicherlich nicht allein in einem Regelwerk begründet, das sich über viele Jahrzehnte einigermaßen gut bewährt hat.

Die Reform berücksichtigt in ihren widersinnigen künstlichen Neuregelungen nicht die Belange des Lesenden. Fehlt zwischen zwei Hauptsätzen ein Komma, läßt sich das Konstrukt schwerer lesen oder gar nicht mehr verstehen. Ähnliche Probleme bereitet das nunmehr freigestellte Weglassen des Kommas vor erweitertem Infinitiv mit "zu". "So genannt" ist etwas anderes als "sogenannt". Beide Wortkombinationen werden auch anders ausgesprochen: Im ersteren Fall werden beide Wörter betont, im zweiten Fall betont man nur "so". Ähnlich verhält es sich mit "Zurzeit", das man bis 1996 als "zur Zeit" kannte. Und was ist eigentlich "Mithilfe"? Im Neuschrieb kann man "mit Hilfe" und die "Mithilfe" nur noch aus dem Kontext heraus unterscheiden. Auch das "ß" am Silbenende nach kurzem Vokal ist eine enorme Leseunterstützung. Mit solchen unausgegorenen Änderungen wie "Tollpatsch" oder "Tunfisch" werden Kinder regelrecht belogen. Wer hierauf abfährt, schreibt ohne zu zögern auch "Dammhirsch", Wiesent und "Kackadu", aber diese Tierchen haben die Reformer übersehen. "recht haben" ist nicht "Recht haben", und "wir geben Acht" oder "es bleibt beim Alten" ist genauso grammatikalisch falsch wie "im Allgemeinen".

Dafür sollen wir die Anrede "Du" kleinschreiben, die Anrede "Ihr", also viele "Dus", aber nach wie vor groß. Die neue Trennregel sagt Fens-ter, jedoch "Zu-cker", und "o-der" und "ü-ber" sind weitere wertvolle Errungenschaften des Neuschriebs. Heute kann man den Tipfehler nicht mehr vom Tippfehler unterscheiden. Haben sich die Reformbefürworter mal die Mühe gemacht, alleine nur die Ausnahmeregeln für die neue "ss"-Schreibung zu analysieren? Es ist nämlich gar nicht so einfach, nicht Misstkäfer zu schreiben, da muß man heute gut aufpassen.

Mit ihren Beliebigkeits-"Regelungen" zerstört die Reform praktisch das Transformationsmittel, mit dem wir uns schriftlich unterhalten. Schriftsprache braucht klare Regeln, und die dürfen, da unsere Sprache komplex ist, auch schwierig sein. Bildlich gesprochen: Das neue Automodell fährt ansich ganz gut, man soll nur noch einsteigen und losfahren müssen. Und die wenigen durch die Firmenleitung verbindlich eingeführten Konstruktionsänderungen führen lediglich zu einem instabileren Fahrverhalten, was der Fahrer mit viel Geschick ausgleichen kann, aber nicht muß. Ich wünsche den Kultusministern eine Probefahrt. Aber sie sollten vorab in das Bedienhandbuch des Vehikels schauen. Vielleicht finden sie dort unter dem Punkt "losfahren" ein paar durchaus aufschlußreiche "Fallgruppen", die die "Losfahrregel" untersetzen und ihnen trotz Instabilität die Chance auf eine unfallfreie Fahrt einräumen.

Die Schulen amtlich zu zwingen, dieses Geschreibsel zu unterrichten, ist hochgradig verwerflich. Es wäre verantwortunglos, diese Situation beibehalten zu wollen. Die Verlage, die sich jetzt von der Reform verabschieden wollen, haben ihr Vorhaben mit sachlichen Argumenten begründet und ernten insbesondere von den politisch Verantwortlichen beinahe nur unsachliche Polemik: Schon beschlossen, es gäbe Wichtigeres, Umstellung zu teuer, Kinder würden verunsichert, Schulkinder hätten damit keine Probleme, ein Schreibchaos sei jetzt entstanden ... Wenn sich unsere Politiker mal die Zeitungen vom Tag der Umstellung auf Neuschrieb anschauten, würden sie feststellen, daß beinahe jede Zeitung auf diese Umstellung mit dem Zusatz hingewiesen hat, daß sie sich an diese und jene Regeln des Neuschriebs nicht halten wollten. Wer also heute behauptet, wir hätten dank der Reform heute eine einheitliche Schreibung, der hat entweder keine Ahnung von der Sache oder - was schlimmer ist - er lügt. Es heißt, die Chefin der KMK, Frau Doris Ahnen, laufe seit Bekanntwerden der Umstellung von "Springer" und "Spiegel" wutschnaubend über die Flure. Warum eigentlich? Sie selbst hat mit dazu beigetragen daß der Neuschrieb nur für Schulen und Behörden eine gewisse Verbindlichkeit besitzt, nicht aber für Zeitungsverlage.

Das Vernünftigste, was der in Gründung stehende "Rat für deutsche Rechtschreibung" vorschlagen könnte, ist die kompromißlose Rückkehr zur Schreibung vor 1996. Dafür bräuchte man allerdings keinen Rat und könnte Zeit, Geld und Aufregung sparen. Und was sind ein paar Neuschrieb-Schülerjahrgänge im Vergleich zum bisher existierenden deutschen Schriftgut?

Dr. Jürgen Langhans, Karlsruhe.
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Brief 6: Eine Hand macht Unsinn zum Gesetz
Ein Leserbrief an die BNN, Ausgabe 174, "Welche Wörter werden wie geschrieben?", 02.08.2005

Vielerorts ist nun zum Gesetz erhoben, was grammatikalisch falsch ist. Ich hätte nie geglaubt, daß im so gerne zitierten Land der Dichter und Denker ein derartiger Irrsinn möglich ist: "Gräulich" (grau) kann man nicht mehr von "greulich" (Grauen) unterscheiden, einen "Tipfehler" nicht mehr von einem "Tippfehler". Auch die als unumstritten suggerierte "ss"- Regelung ist weder schlüssig noch leicht erlernbar; es gibt sie nämlich gar nicht: Die "ss"-Schreibung reiht sich ein in die allgemeingeltende Regel zur Verdopplung von Konsonanten nach kurzem Vokal, und es gelten diverse Ausnahmefallgruppen, nach denen man eben nicht "ss", sondern "s" schreiben muß, beispielsweise bei "das", "was", "Ergebnis". Wem diese Ausnahmefallgruppen nicht bekannt sind, der darf also in Zukunft "Orgassmuss" schreiben. Warum wird ausgerechnet der "Tollpatsch" reformiert, warum jedoch wird der "Kakadu" nicht zum "Kackadu"?

Woher soll man wissen, welches Wort man in Zukunft lieber nachschlagen sollte und welches nicht? Im Chaos besteht faktisch immer "ein enormes Wissensdefizit". Damit der "Missstand" nicht so komisch aussieht, wird verallgemeinert "Miss-Stand" empfohlen. Mir als belesenen Bürger dreht sich der Magen um, wenn ich mit dem Neuschrieb konfrontiert werde; "Recht haben" ist nun mal etwas anderes als "recht haben", ein "Schwarzes Brett" ist nicht unbedingt ein "schwarzes Brett". "Kennenlernen" ist ein eigenständiges Verb und gehört zusammen geschrieben; man kann das Kennen nämlich nicht lernen (vgl. "schwimmen lernen"). "Belemmert" hat nichts mit dem Lamm zu tun und das "Quentchen" nichts mit dem Quantum.

Der Beitrag verschweigt, daß zum 1. August bereits viele Neuregelungen wieder zurückgenommen worden sind und daß statt dessen aus gutem Grunde die herkömmlichen Regeln gelten. "So genannt" darf wieder "sogenannt" geschrieben werden, und die Kommas müssen dort gesetzt werden, wo sie der Neuschrieb weghaben wollte. Der Rat für Rechtschreibung hat angekündigt, in den kommenden Monaten weitere Vorschläge für einen Rückbau der Reform zu formulieren. Die Lesbarkeit solle wieder im Vordergrund stehen. Mittelfristig will man sich auch von solchen Ungereimtheiten wie "mithilfe" (mit Hilfe), einem Konstrukt, das sogar die Sprechweise beeinflußt, wieder verabschieden. Auch die neuen, absurden Trennungsregeln stehen im Rat noch zur Diskussion.

Folgerichtig wird es auch bald wieder neue Nachschlagewerke geben. Den "aktuellen Stand" kann derzeit kein einziges Wörterbuch für sich beanspruchen. Leid Tragende (in korrekter Schreibweise: "Leidtragende") sind nicht nur die Schüler, sondern alle Angehörigen der deutschen Sprachgemeinschaft. Es ist beileibe frustrierend, sich von Leuten, die selber nicht wissen, wann "das" und wann "daß" geschrieben werden muß, und die meinen, mit "ss" werde nun alles einfacher, kraft ihrer Wassersuppe falsches Schreiben anweisen lassen zu müssen. Ausgerechnet "eine Hand voll" Kultusminister, deren primäres Interesse doch die Wahrung unserer Schreibkultur sein sollte, "macht" Unsinn zum Gesetz. Nanu, diesen Satz darf man ja gar nicht mehr vernünftig schreiben. Die Aussage lautet nämlich verkürzt: "Eine Hand ..., deren Interesse es sein sollte, ..., macht Unsinn zum Gesetz." Es widert mich an, wenn ich mir vorstelle, daß mein kleiner Sohn irgendwann in der Schule einen derartigen Schwachsinn gelehrt bekommen wird (Hinweis: korrekt wäre "handvoll" und "machen Unsinn"; "Kultusminister" wäre dann wie gewünscht das Subjekt, und die Aussage stimmte).

Dr. Jürgen Langhans, Karlsruhe.
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Brief 7: Schade, nun doch nicht Dammhirsch und Wiesent
Leserbrief in "Junge Welt" vom 18. März 2006

Wie großzügig: "kennenlernen" darf als sog. Variante wieder zusammen geschrieben werden. Und wann würde man es überhaupt auseinander schreiben wollen? Kann man das Kennen denn lernen, so wie schwimmen lernen? In Zukunft wird in Schulen korrektes Schreiben mit einem Fehlerpunkt bestraft, und ausgerechnet die Kultus(!)minister wollen das so. Wer richtigerweise "greulich" schreibt, weil er das Grauen (und nicht das Grau) meint, wird nunmehr als schlechter Schüler hingestellt. Schreibt er jedoch reformiert "gräulich", riskiert er, daß er vom Leser falsch verstanden wird, ist aber ein guter Schüler. Ist das nicht ein Irrsinn?

Naturgemäß haben Schulkinder faktisch keine Probleme mit dem Neuschrieb, denn sie kennen ja nichts anderes und halten das für richtig und gut, was sie in der Schule gelehrt bekommen: misst, frisst, Messer-gebnis, Schloss-Spuk. Aber warum wurden der Damhirsch und der Wisent nicht reformiert? Vielleicht schreiben die Kinder nun ganz von sich aus "Kackadu" als Variante zu "Kakadu"? Vielleicht auch "Topp" und "Mobb", so wie "Tipp"? Und so gibt es eine Vielzahl an Ungereimtheiten, die die reformierte "Hand voll" Änderungsvorschläge des Rates für Rechtschreibung nahezu bedeutungslos machen.

Was bleibt, ist mehr Chaos als zuvor, nicht zu letzt hervorgerufen durch die erhöhte Variantenvielfalt. Ein "Alptraum" ist nun mal was anderes als ein reformierter "Albtraum" (der Traum vom Flüßchen "Alb", welches bei Karlsruhe in den Rhein mündet). Und wer recht hat, hat nicht unbedingt Recht (nach Neuschrieb könnten man diese Aussage gar nicht mehr formulieren!). Die Schreibung "im Allgemeinen" ist deswegen falsch, weil "allgemeinen" hier als Substantiv verblaßt. Leicht zu erlernen: Man kann keinen Artikel davorsetzen, "in dem Allgemeinen". Kurios: "so genannt" wird reformiert auseinander geschrieben, aber die Abkürzung "sog." bleibt.

Es war der miese Trick der mit Schreibschwäche gepuderten Reformdurchsetzer, die Reform durch die Hintertür der Schule einführen zu wollen. Nur wird hier die Aufgabe der Schule verkannt: Die Schule hat zu lehren, was im allgemeinen Sprachgebrauch üblich ist; nicht jedoch hat sich die Allgemeinheit nach den Vorgaben der Schule zu richten. Und die Allgemeinheit respektiert den Neuschrieb bestenfalls mit Ignoranz und größtenteils mit Ablehnung. Der berühmte "Tollpatsch" ist ein Lüge, die Trennung "A-bend" ist unnötig, und das "ß" steht nun nicht mehr als nützliche Lesehilfe am Ende einer kurzvokaligen Silbe zur Verfügung. Solche "Metzger"-Trennungen [Prof. Ickler, Uni Erlangen] wie "A-bend" sollen ja wieder zurückgenommen werden; welch eine Errungenschaft für die deutsche Sprachgemeinschaft im Jahre 2006!

Der beste und preiswerteste Weg zur (Wieder-)Vereinheitlichung der deutschen Rechtschreibung wäre eine konsequente Rücknahme der Reform und die Rehabilitation der Regeln gem. Duden 1991, einschl. der absurden "ss"-Schreibungen, verbunden mit einer deutlich effizienteren Erläuterung der Regeln in den Nachschlagewerken und im Schulunterricht. Dabei könnte in Schulen fairerweise ein neuschrieb-toleranter mehrjähriger Übergang geschaffen werden. Schulkinder haben das Recht auf das Erlernen einer vernünftigen Schreibung. Der sowieso mit nur schwachen Kompetenzen ausgestattete Rat für Rechtschreibung gehört abgeschafft, und die KMK sollte sich wieder anderen Themen widmen; das sparte Steuergelder; ganz abgesehen davon, daß sich mir als belesenem, gut ausgebildeten Bürger die Eingeweide umdrehen, wenn ich Texte in "Neuschrieb" lesen muß. Ich empfehle ohne Eigennutz die spannende Hintergrund-Lektüre "Rechtschreibtagebuch" des nunmehr ehemaligen Mitglieds des Rates für Rechtschreibung, Prof. Theodor Ickler, in "Schrift und Rede" (www.sprachforschung.org).

Dr. Jürgen Langhans, Karlsruhe.
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Rezensionen


Rezension 1: Falsch ist richtig (Prof. Theodor Ickler)
Eine Buchbesprechung

"Die Sprachgemeinschaft hat im Laufe der Jahrhunderte viele Hilfsmittel gefunden, die allesamt dazu dienen, dem Leser einen bestimmten Inhalt möglichst sinnfällig vor Augen zu führen ..." (Seite 19). Falsch ist richtig

Mit FALSCH IST RICHTIG liegt ein kompaktes Buch vor, das auf überaus kompetente und souveräne Art und Weise darlegt, weshalb wir die Wörter und Wortkombinationen so schreiben müssen, wie wir das bisher auf der Basis unserer bewährten Rechtschreibung getan haben und größtenteils noch immer tun. Prof. Ickler zeigt, daß Quentchen nicht von Quant kommt und belemmert nichts mit dem Lamm zu tun hat. Er erklärt, weshalb Kommas an der richtigen Stelle so wichtig sind und warum Kinder heute neben "lässt" auch "lässtig" schreiben. Beinahe alle reformgeschädigten Schreibungen, auch die Zeichensetzungen und die Trennungen, unterzieht er einer historischen bzw. sprachwissenschaftlichen Analyse. Dies tut er mit überzeugender Klarheit, ohne dabei - wovor ich den Hut ziehe - den Pfad der Sachlichkeit zu verlassen.

Das Buch ist sauber gegliedert und beinhaltet alle wesentlichen Inhalte des Reformprozesses. Prof. Ickler läßt den Leser teilhaben an seinen oft irrwitzigen Auseinandersetzungen mit Reformern; er beleuchtet Hintergründe, nennt Namen und zeigt einen möglichen, überraschend einfachen Ausweg aus dem Rechtschreibchaos.

Am Ende des Buches steht der "unvorbereitete" Leser eher fassungslos als glücklich da: Was soll dieser ganze absurde Unfug? Der Leser ist geneigt, bestimmte Schilderungen einfach nicht zu glauben, weil sie so unfaßbar, unlogisch und bar jeden Verstandes erscheinen. Aber zu des Lesers Entsetzen deckt Prof. Ickler ein dunkles, folgenreiches und in seiner Umsetzung völlig überflüssiges Kapitel unserer Kulturgeschichte auf. Es geht ihm nicht nur um den "Tollpatsch", sondern er nimmt uns jede Illusion von einer Vereinfachung des Schreibens durch die sog. Rechtschreibreform; er entlarvt die Lügen und Intrigen der Reformerseite und legt die Zusammenhänge zwischen Reform, Politik und Verlagen offen; er beschreibt, unter welchen widerwärtigen Umständen und mit welchen fiesen Mitteln diese Reform "amtlich" und "schulreif" gemacht wurde. Auch läßt er nicht unerwähnt, daß sich heute (2006) viele Reformer und Politiker nicht mehr zu diesem mißlungenen Projekt bekennen und sich gern aus der Verantwortung stehlen würden.

Die Lektüre ist unerwartet spannend, hoch aktuell und für jeden Leserkreis leicht verständlich. Wer nach Seite 263 immer noch "ss" statt "ß" schreiben will und meint, er tue damit etwas Gescheites, sollte wenigstens noch mal drüber schlafen. Überzeugender als in FALSCH IST RICHTIG kann man die Dinge de facto nicht erklären.

Dr. Jürgen Langhans, Karlsruhe, April 2006.
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Aktionen


Aktion 1: Verleihung des Konrad-Duden-Preises 2001 im Schloß Mannheim
Prof. Hans-Werner Eroms - Interview danach

Eroms DSW/Mannheim, 13.02.2002: Hans-Werner Eroms, Professor für Germanistik an der Universität Passau, erhielt für seine wissenschaftlichen Arbeiten auf dem Gebiet des Sprachgebrauchs in der Politik oder im Zusammenhang mit der deutschen Wiedervereinigung den mit 12.500 € dotierten Konrad-Duden-Preis 2001. Der Preis, gestiftet von der Stadt Mannheim und dem Verlag Mannheimer Bibliographisches Institut & F. A. Brockhaus AG, wird alle zwei Jahre im Rahmen der Jahrestagung des Instituts für Deutsche Sprache (IDS) vergeben. Mit diesem Preis werden Germanisten geehrt, deren Forschungen auch öffentliche Wirkung haben. Die Festrede hielt im Beisein des Urenkels von Konrad Duden der Preisträger des Jahres 1999, Professor Siegfried Grosse, Ruhruniversität Bochum.

In seinem Festvortrag "Klammer und K-Frage: Konstanten und Kurzläufer in der deutschen Sprache" ging Eroms zu Beginn auf das deutsch-englische Mischvokabular ein. Es seien nur "ganz wenige Bereiche ..., in denen englische Ausdrücke verwendet werden; unsere alltägliche Sprache wie die Sprache der Dichtung sind weitgehend frei von Anglizismen. Es sind im Grunde nur ganz bestimmte Fachsprachen wie die der Computertechnik und der Werbung, deren Einfluß ich jedoch nicht verharmlosen möchte. Und wir sollten vielleicht darauf achten, daß sie nicht zu sehr auf andere Bereiche übergreifen." Die heute dominierende Spaßgesellschaft stelle die Bildung hinten an, kommentiert Eroms das beschämende Abschneiden deutscher Schüler beim Leseverständnis, einem Thema der Pisa-Studie. "Als Vorbereitung auf die nächste Pisa-Studie sollten wir auf ein waches und bewußtes Formulieren achten, in den Medien, in der Schule und bei uns selbst." Eingangstor

Eroms kritisiert die unzureichende Betreuung in Schulen und im Elternhaus. In seinen Ausführungen zum kontrovers diskutieren Thema der Rechtschreibreform gibt sich der weltweit anerkannte Germanist überaus diplomatisch. Als Ausweg aus dem heutigen Mißstand sieht Eroms hauptsächlich den Konsens. "Es kann aber nur einen Mittelweg geben, der behutsam die Fäden aufnimmt, keine Maschen fallen läßt, d. h. alles berücksichtigt und vielleicht neu verknüpft, wie es im Großen und Ganzen ja auch geschehen ist ... Das Risiko von Ländersonderwegen, wie es sich ja bei der Rechtschreibreform gezeigt hat, muß dabei wohl in Kauf genommen werden. Aber natürlich nur so weit, daß schließlich ein Konsens gesucht wird, wie es auch geschehen ist."

Eroms sieht drei Faktoren, die die Debatte um die Rechtschreibreform interessant machen:

  1. Von der Rechtschreibung und ihrer Reform seien alle betroffen, jeder und jede fühle sich aufgerufen mitzudiskutieren.
  2. Die Debatte werde öffentlich ausgetragen. "Waren es zunächst Berichte, Kommentare und Leserbriefe vor allem in den Printmedien, so ist es jetzt das Internet, wo sich das manifestiert."
  3. Fast alle, die sich äußern, hätten Patentrezepte anzubieten.

Tatsache dürfte sein, daß das Internet eher ein Ausweich-Medium für reformkritische Texte darstellt, seit dem die Printmedien mit der Umstellung auf den Neuschrieb kritische Leserbriefe boykottieren. Eroms beklagt die "Besserwisserei der Fachleute" in der Rechtschreibdiskussion: "In der Sprachwissenschaft war die Auffassung sehr verbreitet gewesen, daß Rechtschreibung eigentlich kein Thema sei, mit dem sich eine theoriebezogene Wissenschaftsdisziplin befassen müßte. Das sei allenfalls ein Schulproblem, ein Bereich, in dem nur durch geschicktes Einüben die Beherrschung der Regeln mechanisch und automatisch durchgeführt werden müsse. Weit gefehlt - erst beim Debattieren über die Eingriffe in den Regelbestand zeigte sich, wie kompliziert die Rechtschreibregeln im Grunde sind: Sie gehorchen im Deutschen einer Vielzahl von Prinzipien." Vor allem sei es das sogenannte Stammprinzip, mit dem die Wörter einen konstanten grafischen Ausdruck bekommen, indem man etwa "Hand" nicht mit "t", wie man es spricht, sondern mit "d" schreibt, weil es "Hände" heißt, und dieses Wort nun wieder nicht mit "e", sondern mit "ä", weil es eben "Hand" heißt. "Dieses Prinzip bildet sich seit dem späten Mittelhochdeutschen aus und ist ein Faktum der deutschen Sprachgeschichte, an dem auch niemand etwas ändern will."

Die Schwierigkeit, eine alte oder neue Rechtschreibregel zu verstehen, merke man im Grunde erst, wenn man sich selber bei Verstößen ertappt. "Bekanntlich ist beschlossen worden, jetzt "belämmert" mit "ä" statt "e" und "einbläuen" mit "äu" statt "eu" zu schreiben, um diese Wörter an ihre Wortverwandten anzuschließen, damit auch sie dem Stammprinzip Genüge tun und besser zu lernen wären. Hier merkt der Sprachhistoriker auf: "Belämmert" hat ursprünglich nichts mit "Lamm" zu tun ... Darf man hier dem Trend der Schreibung in der Bevölkerung nachgeben? Muß man nicht die sprachgeschichtliche Richtigkeit zur Geltung bringen? Oder ist nicht auch die Volksetymologie, die sich in hunderten und, wenn man unseren Namenschatz dazurechnet, in tausenden von Wörtern bemerkbar macht, eine sprachliche Regel und keine Fehlerhaftigkeit? Natürlich ist sie das."

Danach referierte Eroms über "Kurzläufer" und "Eintagsfliegen". Kurzwörter werden erfunden, sie sind eine Art Blickfang, der plötzlich populär wird. Das von der Journalistin Susanne Höll, Süddeutsche Zeitung, erfundene Wort "K-Frage" habe "wie eine Bombe eingeschlagen". Heute ist die "K-Frage" gelöst, aber das Wort existiert weiter und erfeut sich dabei neuer Bedeutungen: Für den Exschwergewichtsweltmeister Witali Klitschko stellt sich "die K-Frage; K wie Karriere". Sandra Maischberger stellt sich selbst die K-Frage: Dies sei "der klassische Konflikt: Kinder oder Karriere", und ein Leserbriefschreiber zur Beschaffung eines teuren Flügels für den Passauer Rathaussaal: "Die K-Frage in allen Köpfen: Klavierqualität kontra Krähwinkel ..." So wuchere das "K" weiter, fuhr Eroms fort. "Aber noch interessanter ist es zu sehen, daß nun schnell auch das "K" durch beliebige andere Buchstaben unseres Alphabets ersetzt wird: "Die D-Frage ist verschoben" (... ob Sebastian Deisler eingesetzt werden soll; Welt am Sonntag, 27.01.02). Aufgabe der Sprachwissenschaft sei es, die formalen Muster solcher Formulierungen zu ermitteln, vergleichbare Ausdrucksweisen zu suchen und sie aus den Strukturgesetzlichkeiten unserer Sprache zu erklären, so Eroms zu diesem Thema. Peil

Die insgesamt sehr festlich und stilvoll angelegte Preisverleihung hatte Zaungäste: Während der gesamten Veranstaltung waren Vertreter des VRS (Verein für deutsche Rechtschreibung und Sprachpflege) anwesend. Die am Haupteingang vom VRS fast vierhundert Mal verteilte Flugschrift "Babylonisches Schriftsprachengewirr" fand regen Zuspruch. Daß die anwesenden Vertreter der Rechtschreibreform nicht sehr erfreut über die Flugblätter waren, ist verständlich. Professor Augst nahm "sein" Flugblatt jedoch mit einem freundlichen Dankeschön entgegen: "Aha, der VRS ist wieder mal aktiv!" Professor Wermke reagierte hingegen ziemlich barsch: "Ach, hören Sie doch damit auf. Sie kommen um Jahre zu spät!" Professor Sitta, ehemals Präsident der Arbeitsgruppe Rechtschreibreform der Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren und heute Mitglied der Rechtschreibkommission, riß Herrn Peil (VRS) das Flugblatt mit den Worten aus der Hand: "Oh ja, her damit, ich sammle Schwachsinn!"

Aufkleber gegen Rechtschreibreform

Dr. Jürgen Langhans, Karlsruhe 2001 (im Auftrag der DEUTSCHEN SPRACHWELT)
Bleistift
Aktion 2: 306. Pressekonferenz der KMK am 4. Juni 2004 in Mainz
Ein Protokoll
Der Presse stellten sich:

KMK 1

Kernaussage:

Es gibt einhelligen Konsens der Kultusminister aller Bundesländer darüber, daß an der Rechtschreibreform nicht gerüttelt wird. Der vierte Bericht der Zwischenstaatlichen Kommission für deutsche Rechtschreibung wurde von der KMK bestätigt. Die neuen Regeln sollen wie geplant mit kleinen Änderungen am 1. August 2005 in kraft treten. Schhulbücher müßten nicht neu gedruckt werden.

Unser Kommentar:

Es bleibt also alles beim "Alten". Die Rechtschreibreform wird wie geplant mit kleineren Änderungen ab 1. August 2005 an den Schulen verbindlich. Der vierte Bericht der Zwischenstaatlichen Kommission für deutsche Rechtschreibung wurde zustimmend zur Kenntnis genommen, berechtigte Kritiken an diesem Bericht seitens der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung wurden aufgenommen, so Frau Ahnen; es gäbe aber auch unüberwindbare Gegensätze. Schulbücher könnten trotz einiger ergänzenden Änderungen weiter benutzt werden. KMK 2

Unmmittelbar nach dem Ende der Tagung stellten sich die Präsidentin der KMK, die Kultusministerin Frau Ahnen, Staatsministerin Frau Wolff und Staatsminister Prof. Dr. Zöllner der Presse. Die Frage der Deutschen Sprachwelt an das Podium, warum denn die Kultusminister angesichts der gravierenden Mängel der Reforminhalte nicht einfach den Weg zurück zur bewährten Schreibung freimachten, wurde von Frau Ahnen als subjektive Meinungsäußerung eines Einzelnen bewertet und inhaltlich praktisch nicht beantwortet. Wörtlich sagte sie:

"Aus meiner Sicht hat sich die Umsetzung an den Schulen viel besser dargestellt, als am Anfang zu vermuten war. Sprache ist ein wichtiges Kulturgut, und es ist auch wichtig, daß sich Menschen damit befassen und daß sie unterschiedliche Blickwinkel auf die Sprache legen ... Ich glaube nicht, daß Ihre pointierte Sichtweise so zutrifft, und ich werde mich hier nicht einseitig auf eine Seite schlagen ..."

Tatsache sei, daß der vierte Bericht durchaus einen Teil der Kritik aufgenommen hat, ergänzte Frau Wolff, und dies würde von den Kritikern auch bestätigt.

Damit dürfte klar sein, daß über die Kultusminister kein Weg zurück zur bewährten Schreibung führen wird. Die KMK schwört nun auf den zu gründenden Rat für deutsche Rechtschreibung, der sich irgendwann Ende des Jahres 2004 konstituieren und dann die Zwischenstaatliche Kommission ersetzen soll. Offen ist derzeit, wie sie sich das im einzelnen vorstellt. Aufgabe dieses Rates, der pluralistisch zusammengesetzt sein soll, sei die Sprachbeobachtung, die alle fünf Jahre in einen Bericht mündet, so Frau Ahnen. Auf die Frage einer Journalistin, ob denn die Kompetenz dieses Rates so weit reichen würde, daß diese selbst über eine eventuelle Rückkehr zur alten Schreibung entscheiden dürfe, lautete die Antwort sinngemäß und zum wiederholten Male, daß eine Rücknahme der Reform nicht Gegenstand der Diskussion sei. Wie in einzeln die Befugnisse des Rates sein werden, sei noch unklar.

Staatsminster Zöllner zeigte sich "ganz zufrieden, weil wir klare Beschlüsse fassen", und man brauche das nicht alles noch mal zu erläutern. Fachliche Inhalte werden in diesem Gremien scheinbar überhaupt nicht mehr wahrgenommen werden. Statt dessen forderte Frau Ahnen immer wieder eine Versachlichung der Diskussion. KMK 3

Die an die Presse verteilten Regeländerungen zum vierten Bericht lassen sich auf zwei A4-Seiten zusammenfassen und machen deutlich, daß man viele Dinge wieder so wie bisher schreiben "darf", aber nicht muß; ein weiterer Ausbau der Schreibvielfalt ist nun das weiterführende Konzept, welches die Reform zum Erfolg machen soll; kein Wort zur Einheit unserer Schriftsprache als Ausdrucksmittel zwischen Schreibendem und Lesendem. An den eigentlich so enorm wichtigen und verkorksten Regeln zur Zeichensetzung gibt es keine Änderungen. Es liegt nun beinahe allein in der "Macht" der Verlage, die bewährte Schreibung zu rehabilitieren. Wo keiner mitmacht, sind Gesetze überflüssig.

Zum Schluß erlauben wir uns, zwei Sätze von Burkhard Müller-Ullrich vom Deutschlandfunk zu zitieren:

"Daß eine Horde illuminierter Bürokraten dem ganzen Volk die Sprache abgraben kann, ist schon ein Vorgang, der das Demokratievertrauen braver Bürger zu erschüttern vermag. Der Prägnanzverlust alles Geschriebenen, den diese Reform bewirkt, wird indes eine langfristige Verdummung nach sich ziehen, die gar nicht komisch ist."

Dr. Jürgen Langhans, Karlsruhe 2004 (im Auftrag der DEUTSCHEN SPRACHWELT)
Bleistift