Warum schreibt an das so?

Augenarzt
"Unsere Orthographie ist eine Leseschrift. Differenzierungen für Leser sind zumeist Erschwernisse für Schreiber. Das ist in Jahrhunderten entwickelt und akzeptiert worden. Jetzt muß es gegen jene verteidigt werden, die aus ideologischen Gründen der Erleichterung des Schreibens den Vorrang geben wollen."

aus: "Lob der Rechtschreibung", Prof. Dr. Horst Haider Munske, FAZ 4.10.2005

Nicht selten kommt man als Nichtsprachwissenschlaftler in einen linguistischen "Erklärungsnotstand", wenn man gefragt wird, warum es denn so schlimm sei, wenn bestimmte Wörter reformiert geschrieben werden sollen. Daher gebe ich - hoffentlich gut recherchiert - ein paar Hinweise, aus welchem Grunde die reformierte Schreibung mehr oder weniger blanker Unfug oder schlichtweg falsch ist.

Reform-Unfug 1a:

... im Allgemeinen, im Einzelnen, des Öfteren, Letzerer, nicht im Geringsten, er hat Recht, es tut mir Leid, es tut Not...

Richtig wäre, diese Wörter klein zu schreiben. Warum? Die einfachste Antwort lautet: Man kann nicht sinnvoll einen Artikel davorsetzen ("in dem Allgemeinen". Anders ausgedrückt: Es handelt sich um Substantivierungen, die aber dann klein geschrieben werden müssen, "wenn der Ausdruck den Wert einer Umstandsangabe oder eines Pronomens hat" [Ickler]. In den obigen Wortkombinationen "verblassen" die Substantive zu Präpositionen, Advervien, Adjektiven sowie in "scheinbaren Substantivierungen". Dies nachzuvollziehen ist eine der Stärken unserer bisherigen Rechtschreibung; die Reformer sind dabei, das zu zerstören [Munske].

In den o. g. Fällen fungiert das hinzugetretenen Element nicht als Substantivum. Man erkennt das am besten durch Hinzufügen einer näheren Bestimmung, Beispiel: "Man sagt, er hat ganz recht." Die Anwendung von Adverbien (nicht von Adjektiven) zeigt, daß man einen verbalen Ausdruck und nicht ein Verb mit einem substantivischen Objekt vor sich hat.

Reform-Unfug 1b:

Jemandem Freund / Feind sein

Richtig wäre "jemandem freund / feind" sein. Warum? Diese Wörter sind in dieser Verwendung seit je her Adjektive.

Reform-Unfug 1c:

Jemanden Angst und Bange machen

Richtig wäre, "jemanden angst und bange machen". Warum? Diese Konstruktion ist die kausative Entsprechung zu "angst und bange sein" und sollte daher klein geschrieben werden [Ickler].

Reform-Unfug 1d:

alles Übrige, Verschiedenes, ...

Richtig wäre "alles übrige, verschiedenes". Warum? Diese Ausdrücke haben den Charakter von verweisenden bzw. indefiniten Pronomina angenommen und wurden daher stets klein geschrieben, Beispiel: "Mich hat verschiedenes geärgert" [Ickler].

Reform-Unfug 2a:

Trennungskonstrukte wie "alla-bendlich", "beo-bachten", "E-ber", ...

Richtig wäre "all-abendlich", "beob-achten", "Eber". Warum? Solche Trennungen wie oben sind unnötig und unschön. Ein einzelner Buchstabe am Ende einer Zeile läßt den Leser im Regen stehen.

Reform-Unfug 2b:

Trennungskonstrukte wie "Res-pekt", "Inte-resse", "Mo-narchie", "Hie-rarchie", ...

Richtig wäre "Re-spekt", "Inter-esse", "Mon-archie", "Hier-archie".Warum? Die Zusammensetzungen werden sonst aus ihren anatomischen Fugen getrennt, und dies auch dann, wenn deren Bestandteile aus unterschiedlichen Sprachen stammen. Die lateinischen und griechischen Bestandteile der Wörter sind seit langem zu Bausteinen der deutschen Sprache geworden,und wir bilden damit heute immer neue Wörter: "Biomasse", "interaktiv". Wenn wir die Wörter "Monarchie" und "Hierarchie" nach "Metzgerart" [Ickler], d. h. reformtreu trennen, bleiben die sinnlosen Wortfetzen Narchie und Rarchie zurück. "Derartige Trennungen würden immer als zweitklassig angesehen werden, so Ickler weiter, mit denen man sich als Dummkopf offenbaren würde: Ein gebildeter Mensch würde nicht "O-blate" trennen, auch wenn es das Wörterbuch zuläßt [Ickler].

Reform-Unfug 2c:

Trennungskonstrukte wie "Zu-cker", ...
Zucker
Richtig wäre "Zuk-ker".Warum? Die Verdopplung von Konsonanten (Mutter, Futter, Zucker, ...) gibt die Tatsache wieder, daß der Konsonant nach einem kurzen Vokal zu zwei Silben gleichzeitig gehört. Wir sprechen hier auch von einem "Silbengelenk". Aus diesem Grunde trennen wir zwischen beiden gedoppelten Konsonanten: Mut-ter, Fut-ter. In Zucker steht das "ck" für "kk"; "ck" ist eine sog. Ligatur, die beim Trennvorgang wieder in "kk"aufgelöst wird: "Zuk-ker" [Ickler].

Reform-Unfug 3:

rau

Richtig wäre "rauh". Warum? Zum einen hängt dieses Wort mit dem Rauchwerk / den Rauchwaren (Pelze) zusammen. Zum anderen kommt in deutschen Wörtern nicht selten ein "h" vor, um den "graphischen Wortkörper durch eine zusätzliche Oberlänge gleichsam optisch aufzuwerten" [Ickler], auch "Blickfang-h" genannt [Roemheld]. Das Blickfang-h- wird nur in sinntragenden Wörtern gesetzt, beispielsweise auch in "roh", oder "zäh".

Reform-Unfug 4:

Die erzwungene Getrenntschreibung, "tief greifend", "kennen lernen", "miesmachen", ...

Richtig wäre "tiefgreifend", "kennenlernen", "mies machen / miesmachen". Warum? Im allgemeinen ergeben sich die Kriterien für Auseinander- bzw. Getrenntschreibung aus dem Kontext: etwas mies machen ist nun mal etwas anderes als etwas miesmachen. Auch betont man beim Lesen die einzelnen Wortbestandteile anders, aber von Betonungsunterschieden wollen die Reformer gar überhaupt nichts wissen. Fazit: Es darf es kein künstliches Gesetz für die alleinige Getrenntschreibung geben; viele Inhalte könnten nicht mehr unterschieden und machmal gar nicht mehr (korrekt) ausgedrückt werden (siehe mein Aufsatz!). Und kennen lernen? Kennenlernen ist ein eigenständiges Verb; man kann das Kennen nicht lernen (so wie schwimmen lernen). Die zwingende Getrenntschreibung ist hier großer Unfug. Man versuche sich mal am Wort "wiedergutmachen" ... Inzwischen sind zu diesem Thema (Stand 2005) bereits einige, wenn auch nur halbherzige Rücknahmen im Gange ...

Reform-Unfug 5a:

Die Primitivregel, "ss" nach Kurzvokal, "frisst", "Missstand" / "Miss-Stand"

Richtig (oder besser gesagt: Sinnvoller) wäre "frißt", "Mißstand". Warum? Kurz vorab: Das Schreiben von "ss" statt "ß" hat nichts mit einem Rechtschreibfehler zu tun; letztlich ist der Ersatz stets "erlaubt" gewesen, was man am ehesten in der Blockschrift erkennen kann: Es gibt kein großes "ß". Nun zur Sache:

Das "ß" stammt aus der Frakturschrift, die vom ausgehenden Mittelalter bis 1942 verbeitet war. Damals gab es zwei "s"-Zeichen, ein langes "s"-Zeichen vor Wortanfang und Wortmitte und ein kurzes für den Schluß. Die Kombination beider ergibt eine sog. Ligatur, d. h. zwei miteinander verbundene Bleilettern. Aus diesem Doppelzeichen entstand wahrscheinlich unser "ß". Nun war die Übernahme der Ligatur in die heutige Antiquaschrift schwierig, denn hier gab es nur einen "s"-Konsonanten. So erfand man einfach das "ß" als Sonderzeichen, wobei der Name "Esszett" wahrscheinlich dem geschwänztem "z" der Frakturschrift entliehen wurde [Munske].

Sowohl die Schreibung "Missstand" als auch die der angeblich besseren Lesbarkeit favorisierte Variante "Miss-Stand" sind unnötig bzw. absurd. Das "ß"

Mit Hilfe des "ß" können wir beispielsweise

Das "ß" übernimmt zusätzliche Informationen, die über den Lautbezug hinausgehen. Es ergänzt die Information über Wortzwischenräume, Interpunkten und Großschreibung. Das ist vorteilhaft für leseorientierte Schriftsysteme. So erleichtert es das Erkennen von Teilen in zusammengesetzen Wörtern, wie beispielsweise Mißstand oder Eßsaal [Munske].

Warum sollen wir uns all diese Vorteile nehmen? Kann mir irgend jemand von den Reformstrategen diese Frage plausibel beantworten?

Reform-Unfug 5b:

Der Sonderfall "dass"

Unsere Sprache kennt zwei "Dasse":

Diese Unterscheidung muß erfahrungsgemäß lange geübt werden. Mindestens seit 1341 wird als Konjunktion häufig "daß" geschrieben. Wie ein Wunder unterscheidet auch die "neue Rechtschreibung" die Eigenheiten des das/dass, nur: Weshalb soll daß zu dass werden? Die Reformer beachten hier folgendes nicht:

Doppelkonsonanten sind vor allem (flektierbaren) Wörtern vorbehalten, die ein sog. Gelenk zwischen zwei Silben brauchen: Män-ner, Flam-me. Einsilbige Wörter (unflektierbare) schreibtman daher mit einem "s". Will man also weiterhin Pronomen und Konjunktion in der Schreibung unterscheiden, dann ist das "ß" die beste Wahl. Außerdem hebt das "ß" durch seine graphische Oberlänge daß von das optisch gut ab; man merkt sich das besser.

Reform-Unfug 6:

Die Anrede "du", "dein"

Richtig wäre "Du", "Dein". Warum? Der Umgang mit Höflichkeiten geht die staatliche Orthographienormung nichts an [Ickler]. Akustik